Potsdam-Konvoi https://www.potsdam-konvoi.de INITIATIVE FÜR SOLIDARITÄT MIT MENSCHEN AUF DER FLUCHT Tue, 21 Sep 2021 19:51:00 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.8.1 https://www.potsdam-konvoi.de/wp-content/uploads/2018/03/cropped-logo_ws-kreis-1-32x32.png Potsdam-Konvoi https://www.potsdam-konvoi.de 32 32 Fight Fortress Europe | Leave no one behind | Fight Fortress Europe | Leave no one behind | Fight Fortress Europe | https://www.potsdam-konvoi.de/2021/09/fight-fortress-europe-leave-no-one-behind-fight-fortress-europe-leave-no-one-behind-fight-fortress-europe/ Tue, 21 Sep 2021 19:30:32 +0000 https://www.potsdam-konvoi.de/?p=1700 „Fight Fortress Europe | Leave no one behind | Fight Fortress Europe | Leave no one behind | Fight Fortress Europe |“ weiterlesen

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Contentnote: Der folgende Text setzt sich mit der Flucht und der
Situation von Geflüchteten in Bihać in Bosnien auseinander. Es werden
Themen wie Folter und sexuelle Gewalt angesprochen.

Es ist und bleibt- RESPECT EXISTENCE OR EXPECT RESISTANCE

Wieso Bosnien- Herzigowina und wieso Bihać?

Bosnien- Herzigowina liegt auf der sogenannten Balkanhalbinsel. Die
Nachbarstaaten sind im Nordwesten Kroatien, im Osten Serbien und in
Süden Montenegro. Bosnien-Herzigowina liegt als Staat demnach vor der
EU- Außengrenze, die an dieser Stelle Europas zwischen Kroatien und
Bosnien verläuft. Wie Ungarn, hat auch Kroatien im Jahr 2016 seine
Grenzen geschlossen und so wurde Bosnien-Herzigowina unfreiwilliger
Lebensort vieler Menschen auf der Flucht.

Die Gemeinde Bihać liegt im Nordwesten Bosniens und Herzigowinas. 25
Kilometer gen Osten, erhoben auf dem Gebirgszug Plješevica verläuft die
kroatische Grenze.
Bihać ist eine kleine Gemeinde mit etwa 56.000 Einwohner*innen. Seit
2015 führt die sogenannte Balkanroute vermehrt durch Bosnien-Herzigowina
und Bihać. Von dort aus beginnt der letzte Abschnitt der Fluchtroute bis
in die EU- ein Fußmarsch von 14 Tagen bis nach Italien.

Wie leben PoM in Bihać?

In und um Bihać gibt es mehrere kleine offizielle Camps für Familien und
Minderjährige. Das Hauptcamp, auch für junge und ältere Männer in der
Region, ist jedoch das Camp Lipa. Das Camp Lipa liegt etwa 25 km von
Bihać entfernt und befindet sich derzeit im Wiederaufbau nach dem Brand
im Dezember 2020. Erzählungen zu Folge, gibt es dort kein fließendes
Wasser. Die hygienische Situation vor Ort ist sehr schlecht. Die
medizinische Versorgung ist unzureichend. Der Strom im Camp wird nach
wie vor mit Generatoren erzeugt. Viele Menschen beklagen eine mangelnde
Essensversorgung. Neben den nicht abgedeckten Grundbedürfnissen, wird
den PoM*People on the Move  zusätzlich durch Ausgangssperren und
Schikane durch das Aufsichtspersonal zugesetzt. Regelmäßig werden bei
Räumungen in Bihać, die Menschen unfreiwillig ins Camp Lipa gebracht.
Die Meisten von ihnen laufen jedoch sofort die 25 Kilometer zurück nach
Bihać.

In und um Bihać leben je nach Saison zwischen 1000 und 2000 Menschen
außerhalb von Camps. Die dort verweilenden Menschen sind vorwiegend
Jugendliche und Männer und kommen überwiegend aus Pakistan und
Afghanistan. Viele von ihnen sind vor Monaten, teils Jahren in den
Ländern aufgebrochen. Sie ertragen widrige Lebensbedingungen in
provisorischen Zelt- und Planenunterkünften sowie in zerfallenden
Häusern in und um das Stadtzentrum. Viele Menschen teilen sich in
Bauruinen und Zelten alte Decken und Schlafsäcke. Fließend Wasser und
Strom gibt es auch außerhalb der Camps nirgendwo.

Die Trinkswasserversorgung wird durch wenige solidarische Nachbar*innen
sowie den Kollektiven vor Ort getragen. Jeden Tag werden 500 Liter
Wasser in die Wälder außerhalb des Stadtzentrums gebracht. Zwei
Kollektive verteilen jeden Tag Essenstüten mit Reis, Mehl, Milch und
weiteren Zutaten, damit die Gruppen über dem Feuer essen kochen können.
Es können ca. 100 Tüten verteilt werden. Auch andere private Personen,
Gruppen oder Organisationen verteilen in unregelmäßigen Abständen Essen
oder Hygieneartikel.

Durch die schlechten hygienischen Bedingungen in den provisorischen
Unterkünften leiden viele PoM an Hautkrankheiten wie Krätze, an
Magen-Darm-Erkrankungen, Erkrankungen der oberen Atemwege und
Zahnschmerzen. Dazu kommen andauernde Schmerzen in den Knien und Füßen
aufgrund der langen und beschwerlichen Fluchtwege zu Fuß. Vielen klagen
aber auch über starke Ganzkörperschmerzen. Wenn People on the Move durch
Pushbacks aus Kroatien zurück gedrängt werden weisen sie auch Hämatome
von Schlagstöcken der Grenzpolizei auf.

Pushbacks aus Slowenien und Kroatien?

Auf dem Weg nach Italien müssen die Menschen durch Kroatien und
Slowenien, wir treffen täglich Gruppen, die uns von gewaltsamen
Puchbacks berichten. Werden die PoM auf dem Weg von der Polizei
aufgegriffen, wird vielen von ihnen alles weggenommen was sie dabei
haben- Bargeld, Telefone, Taschen, Rucksäcke und teils Kleidung werden
verbrannt. Es kommt noch schlimmer,  Menschen berichten von Folter und
sexuellen Übergriffe durch Repressionsorgane. So erzählte eine
Pushback-Gruppe, dass sie zu zehnt bei 35 Grad Außentemperatur in einem
fensterlosen Transporter mit Pfefferspray angegriffen und für mehrere
Stunden gesperrt wurden. Andere gläubige Muslime berichteten wiederum,
dass sie gezwungen wurden Schweinefleisch zu konsumieren. Ein Bruchteil
der Menschen, die den teuren Versuch nach Europa zu kommen wagen,
schaffen es tatsächlich, der Großteil verharrt jedoch Monate oder Jahre
in Bihać und haben es auch nach dem 20ten Versuch noch nicht nach Europa
geschafft um dort einen Asylantrag zu stellen.

Was den Menschen auf dem Weg nach Europa täglich angetan wird, macht
sprachlos. Darf es aber nicht. Narrative müssen weiter an die mediale
Öffentlichkeit getragen werden, damit in der EU nicht weiter so getan
werden kann, als gäbe es keine Grundrechtsverletzungen an den
Außengrenzen der Festung. Denn es gibt sie.

Wir fordern endlich eine Ende dieser menschenverachtenden
Abschottungspolitik. Es bleibt der Kampf für eine Welt ohne Grenzen! 

Fight Fortress Europe | Leave no one behind | Fight Fortress Europe |
Leave no one behind | Fight Fortress Europe |

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Migration ist kein Verbrechen https://www.potsdam-konvoi.de/2021/05/migration-ist-kein-verbrechen/ Wed, 19 May 2021 06:57:32 +0000 https://www.potsdam-konvoi.de/?p=1692 „Migration ist kein Verbrechen“ weiterlesen

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Ich bin Moment auf Lesbos bei einer NGO und kann, wenn ich den Hügel auf ́s Meer runter schaue, das RIC (Registration and Identification Center) Lesvos sehen, auch bekannt unter Mavrevouni, Karatepe 2 oder Moria 2. Vorher war ich fast drei Monate auf Chios. Ich war dort in Vial (so heißt das Camp dort) Cleaning Coordinator. Wir waren fast jede Woche bis zu dreimal beim Camp, um im inoffiziellen Teil und in den Feldern drum herum Müll zu sammeln. Die Camps haben etwas gemeinsam:

Hohe Zäune und viel Polizei; auf Lesbos sogar noch mehr als auf Chios.

In Chios gab es Polizeicheckpoints, die jede(n), der/die nach Migranten oder Migrantin aussah, kontrolliert haben und, wer keinen entsprechenden Schein hatte – durfte nicht weiter. Auf Lesbos kommt man gar nicht durch das Tor ohne entsprechenden Schein. Um einen solchen Schein zu bekommen, muss man sich schon sehr früh anstellen.

In Griechenland war letztes Wochenende Ostern: das Camp war abgeriegelt über mehrere Tage.

Die Camps gleichen jetzt schon Gefängnissen und trotzdem gibt es Pläne für „geschlossene Lager.“ Die Menschen sind stigmatisiert, auf ihren ID ’s prangt groß „Asylum Seeker“, selbst Neugeborene haben solche Karten.

MIGRATION IS NOT A CRIME!

Es gibt keine Chance auf Bildung für die vielen, vielen Kinder… stattdessen haben auf Chios die Kinder im Müll mit Müll gespielt. Es kann dort kein würdevolles Leben für die Menschen geben und deshalb gehören sie evakuiert und die Camps abgeschafft.

Ich schäme mich für die Bundesregierung und für dieses Europa.

Es macht mich wütend und wir alle stehen hier, um zu rufen:

„Das ist nicht in unserem Namen.“

Überhaupt ist ein würdevolles Leben in Griechenland für Geflüchtete momentan nur schwer möglich. Mit anerkanntem Status verlieren die Menschen das Recht in den Camps zu leben und nach 30 Tagen bekommen sie keinerlei finanzielle Unterstützung mehr. Nicht selten bauen sie sich einen Shelter neben den Camps. Andere verlassen die Inseln Richtung Festland und sind dort plötzlich obdachlos. Es gibt so gut wie keine Strukturen, die diese Menschen auffangen. Wer Glück hat, landet in einem Projekt, das für 6 Monate die Miete zahlt, danach gibt es nichts. Einem Freund von mir geht es so. Er ist mit seiner Frau und seiner 3jährigen Tochter in Athen. Mitte Juni läuft das Programm aus und er sagte, dass sie dann wieder in ein Camp müssen. Es gibt keine Arbeit für die vielen Menschen, um sich den Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Es ist bittere Ironie, dass Menschen, deren Schutzbedürftigkeit anerkannt wurde, sich als einzige Möglichkeit wieder in die katastrophalen Zustände der Camps flüchten. Das zeigt, wie verzweifelt sie sind.

So lassen sich auch die Berichte vom Festland verstehen, als die BewohnerInnen gegen die geplante Schließung ihres Camps in der Nähe von Korinth protestierten. Wenn der griechische Staat sich nicht mehr um diese Menschen kümmern kann oder möchte – gibt es in Deutschland 246 sichere Häfen. Städte und Kommunen, die bereit sind, Menschen aufzunehmen.

Wir fordern weiterhin ein Ende dieser Blockadehaltung.

Ich habe gelesen, dass Brandenburg aus der letzten Gruppe besonders hilfsbedürftiger Geflüchteter (insgesamt 103 Menschen) neun aufnimmt. Insgesamt wurden nach dem Brand von Moria 75 Menschen nach Brandenburg geholt… 2750 gesamt in die Bundesrepublik…

Das ist Symbolpolitik und nicht genug!

In der letzten Woche wurden ca. 500 besonders schutzbedürftige Menschen (chronisch und psychisch Kranke, aber auch sehr alte Menschen) von Karatepe 1, wo sie pro Familie in einem Container leben konnten, nach Mavrevouni gebracht, wo es nur Zelte gibt. Die Menschen haben wenige Stunden vorher erst davon erfahren und die Transporte fanden zu einer Zeit statt, in der hier noch Ausgangssperre herrschte. Einige Menschen mussten den ganzen Tag ohne Essen und ohne Obdach darauf warten, einen Platz zugewiesen zu bekommen. Ein Mann hat sich wenige Stunden, nachdem er in dem neuen Camp ankam, mit einem Stein selbst den Schädel eingeschlagen und musste ins Krankenhaus.

Hier wurde endlich ein Camp geschlossen, aber die richtige Konsequenz wäre gewesen, diese Menschen direkt zu evakuieren, stattdessen wurden sie ins viel schlimmere Karatepe 2 gebracht. Das Camp, wo sie laut Einschätzung der Ärzte nicht leben konnten und deshalb nach Karatepe1 kamen. Wir fordern endlich ein Ende dieser menschenverachtenden Politik.

Open the Borders! Evakuiert die Lager! Sofort!

Pascal Loerch

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No Name Kitchen – Aktivismus in Serbien & Spendenaufruf https://www.potsdam-konvoi.de/2020/03/no-name-kitchen-aktivismus-in-serbien-spendenaufruf/ Fri, 13 Mar 2020 12:55:03 +0000 http://www.potsdam-konvoi.de/?p=1427 „No Name Kitchen – Aktivismus in Serbien & Spendenaufruf“ weiterlesen

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“Es war Mitternacht. Wir liefen durch einen Wald in Kroatien als die Polizei uns stoppte. Ich sagte ihnen, dass ich Asyl suche weil mein Leben in meinem Heimatland in Gefahr ist, aber sie lachten uns nur aus und begannen uns mit ihren Schlagstöcken zu verprügeln…“

Das ist die Geschichte von Idris, der an der kroatischen Grenze ohne Chance auf ein Asylverfahren oder überhaupt die Möglichkeit seinen Fall zu erklären, von der Polizei direkt nach Serbien zurückgedrängt wurde. Es ist eine von unzähligen Geschichten, denn diese sogenannten “Push backs“, die gegen europäisches Menschenrecht verstoßen, passieren im Balkan jeden Tag.
Menschen, die ihr Zuhause in Hoffnung auf ein sicheres Leben verlassen haben und meistens schon über Jahre unterwegs sind, werden so an der EU-Außengrenze verprügelt, von Polizeihunden attackiert, gezwungen sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Ihre Zelte werden verbrannt, ihre Handys zertrümmert.

Wir, die No Name Kitchen, sind eine kleine unabhängige Organisation, die an der serbisch-kroatischen Grenze arbeitet.
Wir unterstützen Menschen, die auf ihrem Weg nach Europa hier stecken geblieben sind mit warmen Mahlzeiten, Kleidung und medizinischer Hilfe. Außerdem zeichnen wir Fälle von Polizeigewalt an den Grenzen auf, um die Systematik die dahintersteckt für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Uns ist es wichtig, den Menschen mit denen wir arbeiten auf Augenhöhe zu begegnen und sie nicht als  hilfsbedürftige Masse, sondern als selbstbestimmte Individuen zu sehen.

Um unsere Arbeit hier am Laufen zu halten, würden wir uns super über einige gespendete Taler freuen! Zeigt euch solidarisch, kämpft mit für eine Welt ohne Grenzen, denn es ist nicht unser Recht zu entscheiden wer ein sicheres Leben verdient und wer nicht.

Viele liebe & solidarische Grüße aus Serbien! Fuck Borders! :)

Lilli

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PIKPA & one happy family https://www.potsdam-konvoi.de/2020/01/1407/ Mon, 27 Jan 2020 09:46:47 +0000 http://www.potsdam-konvoi.de/?p=1407 „PIKPA & one happy family“ weiterlesen

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  English version below

vom 17.november bis 20.dezember 2019 verbrachte ich einen monat als volunteer auf lesvos.
meine gründe, dort hinzugehen, waren klar und zogen mich stark dorthin. seit 2015 arbeitete ich vor allem – aber nicht ausschließlich – im schulkontext mit geflüchteten kindern und deren familien. ich leitete sogenannte willkommensklassen, organisierte und führte klassenfahrten und ausflüge durch, lernte schwimmen mit den kids und die angst vor dem wasser zu überwinden. es war eine bewegende zeit und ich fand meine arbeit sehr sinnvoll, vor allem deshalb, weil ich in den „willkommensklassen“ einen geschützten raum kreieren und gestalten konnte, in welchem die kids erst mal ankommen und sich langsam auf die neue situation, kultur und sprache einstellen
konnten, bevor sie mit dem straffen alltag in den regelklassen konfrontiert wurden, wo dann alles funktionieren musste. fast täglich kamen neue kinder dazu – aufgrund der großen „flüchtlingswelle“ 2015. von 2017-2018 leitete ich meine letzte klasse. dann war schluss. es kamen nur noch wenige neue familien an. der brauhausberg als übergangswohnheim wurde dicht gemacht. die wenigen kinder, die schulpflichtig bei betreten deutschen bodens wurden, wurden direkt in regelklassen gestopft. es „lohnte“ sich nicht mehr, für die wenigen extra klassen einzurichten. in kleinen temporären lerngruppen sollte nun alles gelernt werden – 2x 45 minuten pro woche. für mich war schnell klar, das ist ein tropfen auf dem heißen stein, der viel energie zieht, aber wenig effekt erzielt. damit verließ ich den schulkontext im juli 2019.

die frage nach weiteren wirkungsmöglichkeiten in der arbeit mit geflüchteten war in mir längst laut und deutlich geworden. mit dem wissen, dass sich auf diversen inseln im mittelmeer die geflüchteten menschen „stapeln“ und nicht weiterkommen, da sie nur unter erschwerten asylum procedures ins abgeschottete europäische festland weiterkommen und quasi kaum mehr eine chance haben weiterzureisen, beschloss ich, mich zu bewegen – und zwar dorthin, wo sich am äußersten rande europas eine menschliche tragödie abspielt, von der wir zwar hören, lesen, sehen, aber kaum eine vorstellung davon haben, was wirklich geschieht. ich stellte mir die fragen: was kann ich? mit welchen meiner erfahrungen kann ich wirken, unterstützen, helfen, und vor allem mir selbst ein bild machen? da ich neben meiner lehrerinnentätigkeit parallel seit vielen jahren auch als naturpädagogin arbeite, zog es mich nach lesvos zum kleinen refugee camp PIKPA gleich neben dem flughafen von mytilini (the so called ngo south). auf diesem gelände wurde vor ca. 2 jahren ein kleiner waldkindergarten „mikros dounias“ gegründet, der durch forrest education local and refugee children and their parents zusammenbringt. durch meine erfahrung in diesem arbeitsfeld sollte es meine aufgaben sein, mit geschultem blick vor allem das pädagogische team zu unterstützen und anregungen zu geben. das passte. hier flossen für mich mehrere aspekte zusammen: erfahrung mit refugee kids and their families, erfahrung als naturpädagogin und lehrerin. die frage nach sinnvollen wirkungsmöglichkeiten war beantwortet. es kam dann alles anders, als gedacht. PIKPA war aufgrund verschiedener faktoren nicht voll belegt, weshalb nur wenige kinder den kindergarten besuchten bzw. war nicht klar, ob dieses camp durch das griechische anouncement, alle illegal betriebenen bzw. besetzten objekte bis 5. dezember zu räumen, auch das besetzte grundstück von PIKPA betreffen würde. zum glück war das nicht der fall. gleichzeitig gab es in mikros dounias, dem waldkindergarten, durch verschiedene umstände „zu viele“ volunteers. ich zögerte nicht lange und suchte mir einen neuen wirkungsort, an welchem jede helfende hand von nöten war. so kam ich ins community center „one happy family“. dort bot sich mir ein anblick, den ich so schnell nicht vergessen werde. ca. 1000 geflüchtete menschen aller altersklassen und verschiedener kulturen verbrachten dort ihren tag, um der situation in moria und karatepe zu entfliehen. ehrlich geasgt, so viele geflüchtete auch noch auf relativ engem raum hatte ich vorher nicht zu gesicht bekommen. zu beginn war ich von diesem bild enorm irritiert und konnte meine emotionen innerlich kaum steuern. das war der moment, in dem mir bewusst wurde, dass wir in unserem sicheren umfeld in deutschland einfach wirklich keine ahnung davon haben, was sich hier tagtäglich abspielt. sooooo viiiiieeeele menschen, die z.b. auf lesvos festsitzen und auf ein neues leben warten und hoffen. ich war überwältigt und den tränen nah. doch beim eintauchen into „one happy family“ wurde mir auch klar, dass dies ein ort ist, der mit hingabe, kreativität, good sprits, viel erfahrung und respekt von montag-freitag von 10-16:30 eine kleine oase nicht für, sondern mit refugees, bietet. ich entschied, dort als volunteer zu bleiben und konnte vor allem meine erfahrungen als pädagogin gut mit einbringen und verbrachte viel zeit mit den kindern und unbegleiteten minderjährigen dort. ich hörte viiieeele bewegende und aufwühlende geschichten, blickte in unzählige gesichter und ließ mich berühren von vielen kleinen und großen momenten. einer dieser momente im „open space“ (wie eine kleine bühne, auf der vor allem selbstorganisiert getanzt und künstlerisches dargeboten wird) bleibt mir besonders in erinnerung und hat sich in meinem herzen verewigt. es war ein nachmittag, an welchem einige afghanische unbegleitete minderjährige teenager ihre musik auflegten und voll aufdrehten. was ich dazu zu sehen bekam, wird mir immer in erinnerung bleiben – junge männliche menschen, die voller hingabe, passion, zartheit, kraft, und für unser kulturelles verständnis mit stark ausgeprägten femininen zügen (darf ich das als „aufgeklärte“ person in der genederdebatte überhaupt so benennen? mir fällt es schwer, es anders zu beschreiben, aber das ist ein anderes thema.) sich hinreißend zur musik bewegten und sich gegenseitig spielerisch lockten und neckten. ich war so begeistert von diesem zauber – vor allem davon, dass es trotzt widriger umstände immer wieder kleine, feine magische momente geben kann, in welchen augen wieder beginnen zu leuchten. allein für solche kleinen begebenheiten bin ich „one happy family“ dankbar, dafür, dass es einen ort gibt, an welchem die not für augenblicke in den hintergrund rückt und kurzes durchatmen, entspannen und ausgelassensein ermöglicht.

ich bin erfüllt von vielen kleinen und großen berührenden erlebnissen. habe an diversen workshops zu unterschiedlichen themen teilgenommen. einer dieser workshops fand im dom von PIKPA statt zum thema „menstrual hygiene & sexual health“ (youmo.se, mensual.info). er war an die frauen des kleinen camps gerichtet und sollte 15:00 beginnen. bis 15:15 gab es außer mir und einer anderen voluntärin nur 2 teilnehmerinnen. ich war irritiert. doch dann tauchte eine kleine ältere norwegerin auf und fragte uns, ob wir mitkämen, um die frauen in ihren hütten abzuholen. klar, why not. und diese kleine frau zog los mit einer wahnsinns energie – wir hinterher – und klopfte an jede erdenkliche tür und lud jede einzelne frau persönlich ein und bat sie in den dom. für mich fühlte sich das erst komisch an, doch es klappte. schon wartend hinter den türen trat jede einzelne heraus und begrüßte uns freudig. mir wurde klar, hier gehts nur über persönlichen kontakt. der dom füllte sich mit knapp 30 frauen und einigen kindern. das thema ist heikel, dachte ich. und wieder eine überraschung, die mein vorgefertigtes bild in nichts auflöste – die frauen waren neugierig und bei der sache und stellten etliche fragen, die von einer hebamme und einer gynäkologin (beide aus schweden) beantwortet und mit diversem bild- und filmmaterial veranschaulicht wurden. am ende wurden hygieneartikel angeboten. bei den jungen frauen stieß die moon-cup auf großes interesse. neben arbeit und workshops nutzten wir die wochenenden, um die insel ein wenig zu erkunden und etwas abstand zu gewinnen. ja, wir konnten das. wir waren privilegiert. und immer wieder tauchte die frage auf, muss ich mich schlecht fühlen, weil ich privilegiert bin und in einem reichen land leben kann und diese tatsache u.a. für die not anderer sorgt? diese frage wurde zur kernfrage und breit diskutiert. meine antwort darauf: nein, ich muss mich nicht schlecht oder schuldig fühlen. ich konnte nicht frei wählen, wohin ich geboren wurde. ich hatte glück und es ist im wohlsituierten teil europas. wer und was wäre ich heute, wenn ich z.b. in afghanistan zur welt gekommen wäre? wäre ich verschleiert – most certainly. wäre ich mutig genug, um mich auf den weg zu machen auf der suche nach einem friedlichen zuhause – auf einem gummiboot übers mittelmeer?? könnte ich meine familie zurücklassen? viele fragen tauchen immer wieder auf. welche fragen hättest du? wie würdest du sie beantworten? für mich wird klar, dass es nicht um „sich-schuldig-fühlen“ geht. aber es geht darum, nicht wegzuschauen und nach eigenen kräften, möglichkeiten und kapazitäten – wo auch immer – aktiv zu werden, sich wieder berühren zu lassen, emphatisch zu sein und menschliche tragödien nicht einfach passiv zuzulassen. ein junger afghanischer mann fragte mich auf dem spielplatz von „one happy family“: bist du wirklich so weit hierher gereist und hast deinen alltag und alles hinter dir gelassen, um uns hier zu helfen? ja, das habe ich…


♡dini

 English version 

from november 17th to december 20th, 2019 i spent one month as a volunteer on lesvos. my reasons for going there were clear and pulled me there strongly. since 2015 i have been working primarily – but not exclusively – in a school context with refugee children and their families. i managed so-called welcome classes, organized and conducted class trips and excursions, learned to swim with the kids and to overcome the fear of the water. it was a moving time and i found my work to be very meaningful, above all because i was able to create and design a protected space in the „welcome classes“ in which the kids arrive first and slowly adapt to the new situation, culture and language could set before they were confronted with the tense everyday life in the regular classes, where everything had to work. new children were added almost every day – due to the large “wave of refugees”. from 2017-2018 i managed my last class. then it was over. only a few new families arrived. the „brauhausberg“ as a temporary refugee dormitory was closed. the few children who became compulsory school when they entered german soil were immediately crammed into regular classes. it was no longer “worthwhile” to set up for the few extra classes. everything should now be learned in small temporary study groups – 2x 45 minutes per week. it quickly became clear to me that this is a drop in the bucket that draws a lot of energy but has little effect. i left the school context in July 2019. the question of further effects in working with refugees had long since become loud and clear in me. knowing that the refugees are “stacking up” on various islands in the mediterranean sea and are not getting anywhere, as they can only get to the isolated mainland of europe under difficult asylum procedures and have virtually no chance of traveling anymore, i decided to travel – there , where a human tragedy is taking place on the outermost edge of europe, of which we hear, read, see, but have little idea of what is really going on. I asked myself the questions: what can i do? with which of my experiences can i work, support, help, get an idea of the situation myself? since i have been working as a nature teacher in addition to my teaching work for many years, i was drawn to lesvos for the small refugee camp PIKPA right next to mytilini airport (the so called ngo south). on this site a small forest kindergarten „mikros dounias“ was founded about 2 years ago, which brings together through forrest education local and refugee children and their parents. based on my experience in this field, it should be my job to support the pedagogical team with a trained eye and to give suggestions. that fit. for me, several aspects came together here: experience with refugee kids and their families, experience as a nature teacher and teacher in general. the question of meaningful effects was answered. then everything turned out differently than expected. PIKPA was not fully occupied due to various factors, which is why only a few children attended kindergarten or it was not clear whether this camp was cleared by the greek anouncement to vacate all illegally operated or occupied objects by december 5, including the occupied property of PIKPA would concern. luckily that was not the case. at the same time there were “too many” volunteers in mikros dounias, the forest kindergarten, due to various circumstances. i did not hesitate long and looked for a new place of work, where every helping hand was needed. this is how i came to the community center “one happy family”. there was a sight that i will not soon forget. around 1,000 refugees of all ages and different cultures spent their day there to escape the situation in moria and karatepe. honestly, i had never seen so many refugees in a relatively small space before. at the beginning i was extremely irritated by this picture and could hardly control my emotions internally. that was the moment when i realized that in our safe environment in germany we simply have no idea what is going on here every day. sooooo maaaany people who e.g. stuck on lesvos and waiting for a new life and hope. i was overwhelmed and could have cried. but when I plunged into „one happy family“ it also became clear to me that this is a place that with devotion, creativity, good sprits, lots of experience and respect from monday to friday from 10-16: 30 a little oasis not for, but with the refugees. i decided to stay there as a volunteer and, above all, was able to bring in my experience as an educator and spent a lot of time there with the children and unaccompanied minors. i heard many touching and moving stories, looked into countless faces and let myself be touched by many small and large moments. one of these moments in the “open space” (like a small stage on which dancing is self-organized and artistic is performed) is something that i particularly remember and has immortalized in my heart. it was an afternoon when some afghan unaccompanied teenagers put on their music and turned it on. what i got to see will always be remembered – young male people, full of devotion, passion, tenderness, strength, and for our cultural understanding with strong feminine features (may i as an „enlightened“ person in the gender debate name it like this? i find it difficult to describe it differently, but that’s another topic.) moved gorgeous to the music and lured and teased each other playfully. i was so enthusiastic about this magic – especially that despite the adverse circumstances there can always be small, fine magical moments in which eyes start to shine again. for such small moments alone, i am grateful for “one happy family”, for the fact that there is a place where the need for moments fades into the background and allows you to take a deep breath and be relaxed. i am filled with many small and large touching moments. i took part in various workshops on different topics. one of these workshops took place in the PIKPA dome on the subject of “menstrual hygiene & sexual health” (youmo.se, mensual.info). it was addressed to the women of the small camp and should start at 3:00 pm. until 15:15 there were only 2 participants apart from me and another volunteer. i was irritated. but then a small older norwegian woman showed up and asked us if we would come to pick up the women in their huts. sure, why not. and this little woman set off with an immense energy – we followed – and knocked on every conceivable door and invited every single woman personally and asked her to the dome. it felt strange to me, but it worked. waiting behind the doors, every one came out and greeted us joyfully. i realized that this is only possible through personal contact. the dome filled up with almost 30 women and some children. the topic is delicate, i thought. and another surprise hat made my pre-made picture vanish – the women were curious about the matter and asked a number of questions, which were answered by a midwife and a gynecologist (both from sweden) and illustrated with various pictures and film material. in the end, hygiene articles were offered. the moon-cup met with great interest among the young women. in addition to work and workshops, we used the weekends to explore the island a little and gain some distance. yes we could. we were privileged. and a certain question came up again and again, do i have to feel bad because i am privileged and can live in a rich country and this fact among other things cares for the needs of others? this question became a key issue and was widely discussed. my answer: no, i don’t have to feel bad or guilty. i couldn’t choose where i was born to. i was lucky and it is in the well-off part of europe. who and what would i be today if i e.g. would have been born in afghanistan? would i would be veiled – most certainly. would i be brave enough to make my way looking for a peaceful home – on a rubber boat across the mediterranean? could i leave my family behind? many questions keep popping up. what questions would you have? how would you answer them? it becomes clear to me that it is not about “feeling guilty”. but it is about not looking away and taking action, wherever possible, to be touched again, to be emphatic and not simply to allow human tragedies passively. a young afghan man asked me on the playground of „one happy family“: did you really travel so far and left your everyday life and everything behind just to help us here? yes, i have…

♡dini

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Ein paar Zahlen https://www.potsdam-konvoi.de/2020/01/ein-paar-nummern/ Thu, 16 Jan 2020 14:13:53 +0000 http://www.potsdam-konvoi.de/?p=1400 An der Nordküste auf Lesbos kamen seit dem neuen Jahr 271 Geflüchtete in 6 Booten an. Davon waren 141 unter 18 Jahre alt, 32 unbegleitete Miderjährige.

(Stand: 10.01.20)

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Bericht Nordlesbos https://www.potsdam-konvoi.de/2019/12/bericht-nordlesbos/ Mon, 02 Dec 2019 12:35:43 +0000 http://www.potsdam-konvoi.de/?p=1379 „Bericht Nordlesbos“ weiterlesen

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Vom 21. Oktober bis 22. November 2019 arbeitete ich ehrenamtlich für vier Wochen an der Nordküste von Lesbos im Bereich der Flüchtlingshilfe.
In meiner ersten Nacht in Griechenland war ich gleich Bestandteil des Teams, das sich im Transitcamp um die Menschen kümmert, welche die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland geschafft haben. Insgesamt kamen in dieser Nacht zwei Boote an. Diese Überfahrten verlaufen längst nicht immer problemlos und so ist es keine Seltenheit, dass die Menschen nass ankommen. Auf dem ersten Boot war ein Mann mit einer leichten Unterkühlung. Ich half ihm aus den nassen Klamotten, wickelte ihn in eine Decke und brachte ihm trockene Kleidung. Das war der Beginn meiner freiwilligen Arbeit dort, die Erfahrungen werden mich sicher nicht mehr loslassen.
Nachdem dann alle Menschen mit Sachen, etwas zu essen und Tee versorgt waren, ging es gegen 5 Uhr wieder zurück in meine Unterkunft. Auf dem Weg dorthin ging mir das Erlebte durch den Kopf. Ich dachte an einen 60 jährigen Mann, der trotz Herzerkrankung diese Reise auf sich nahm und nun in diesem Zwischenlager versuchte, zur Ruhe zu kommen. Zuhause angekommen, aß ich eine Schale Müsli und legte mich kurz hin, bevor der nächste Ruf kam, dass ein Boot kommt. Also ging es zurück und das Prozedere startete erneut. Insgesamt waren nun 96 Menschen in diesem Lager. Als sie am Nachmittag mit einem Bus der Hellenic Coast Guard abgeholt wurden, war das etwas verstörend. Ich muss sagen, dass das was ich jetzt erzähle ein Einzelfall war und ich in der Folge solche Szenen so nicht mehr erlebte. Es begann damit, dass der Busfahrer bevor die Menschen in den Bus stiegen, Gummihandschuhe und Mundschutz anlegte. Scheinbar war es kein Widerspruch für ihn, trotzdem die umherstreunenden Hunde und Katzen dort zu streicheln. Meine Aufgabe war den Menschen eine Flasche Wasser mit auf den Weg zu geben. Ich stand also neben der hinteren Eingangstür des Busses, gab ihnen Wasser und wünschte ihnen „Viel Glück“ (auf Farsi: Mo´afagh Bashed). Einige waren gehetzt, andere bedankten sich, lächelten und verabschiedeten sich. Aber wie gesagt es waren 96 Menschen. Der Bus hatte 47 Sitzplätze. Ich hätte mir im Leben nicht vorstellen können, dass alle dort hinein passen. Zumal auch viele große Plastiksäcke mit der gesamten Habe mit mussten. Der Busfahrer schrie und drückte die Menschen auf sehr grobe Weise hinein. Am Ende gelang es tatsächlich die Tür zu schließen. Ich blickte in die Gesichter der Menschen einige lächelten noch und grüßten, andere – besonders die Mütter – blickten sehr besorgt. Es war eine unwirkliche Situation. Ich und die anderen Volunteers winkten ihnen zu, aber im Gedanken war ich sehr zerrissen. Denn ich wusste, dass es für sie nach Moria* geht. Auch wenn ich es zu diesem Zeitpunkt nur von Bildern und Zeitungsartikeln kannte und es mehr eine Vorstellung denn ein klares Bild war, fühlte es sich seltsam an.

* Das größte Flüchtlingslager der Insel. Es trägt den Namen, der angrenzenden kleinen Ortschaft und befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Mytilini, der größten Stadt auf Lesbos. Ursprünglich ausgelegt für 3000 Menschen leben heute zwischen 13 000 und 16 000 Menschen dort (Zahlen abweichend).

Wenige Tage später war der 28. Oktober, ein Tag mit einer doppelten Bedeutung. Zum einen ist es der griechische Nationalfeiertag, der an das „Nein“ zum Faschismus (1940) erinnert, welches zum Griechisch-italienischen Krieg führte und zum anderen gab es 2015 eine Tragödie an dieser Küste. Damals herrschte ein Sturm, was passiert ist konnte nie wirklich geklärt werden. Mitten in Nacht wurde Alle BootsbesitzerInnen – vor allem die Fischer – auf griechischer und türkischer Seite wurden von der Küstenwache um Hilfe gebeten, um Menschen zu retten. Niemand weiß wie viele Menschen in dieser Nacht bei dem Versuch, Griechenland zu erreichen, ertrunken sind. Schätzungen fangen bei 100 Menschen an. Ich war Zeuge einer bewegenden Rede, die deutlich machte, dass unsere Arbeit dort von den allermeisten geschätzt wird.
An einem freien Nachmittag hab ich die Insel ein wenig erkunden können und besuchte den Lifejacket Graveyard in der Nähe von Molyvos/Mithymna. Das ist eine Mischung aus Deponie und Mahnmal. Abertausende Rettungswesten und Objekte die diesen Namen gar nicht verdienen sind dort angehäuft. Geschätzt liegen dort allerdings „nur“ ein Fünftel der Westen die seit 2015 gesammelt wurden, d.h. zwischen 150 000 und 200 000. Ein Ort der sehr nachdenklich macht, denn jede Weste steht für einen Menschen, steht für ein Schicksal.

Lifejacket Graveyard

Aber zurück zu meinen Erlebnissen aus dem Transitcamp. Ich hab es jedes Mal sehr geschätzt, wenn ich nach meiner Arbeit dort bleiben konnte und Zeit mit den Menschen verbringen konnte. Mein Erzieherherz ist dort aufgeblüht. Denn die Arbeit mit Kindern ist meine Kernkompetenz. Die Sprache spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Denn trotz einiger Farsi-Kenntnisse braucht es zum Singen, Tanzen, Zeichnen oder Spielen lediglich das Selbstverständnis, dass es nichts Größeres gibt, als ein Kind zum Lächeln zu bringen. Ich habe mit ihnen Flugzeuge, Boote und Schmetterlinge gefaltet, deutsche Kinderlieder gesungen und Sport gemacht. Wenn es den Kindern gut geht, geht es auch den Erwachsenen gut. Vielleicht bin ich ein Erzieher/Clown… doch das ist egal! Hauptsache die Menschen haben ein paar gute Momente.

Zeichnungen der Kinder

Ich war auch in Moria, um ein von einem anderen Volunteer organisiertes Clean-up zu unterstützen. Doch bevor es damit losging, sprach mich ein junger Mann an. Er fragte, ob ich seinen Freund ins Krankenhaus fahren könne. Seine Hand war geschwollen, abgebunden und dennoch sah man, dass sie blutig war. Ich habe ihn und seine zwei Freunde durch die ganze Stadt ins Krankenhaus gefahren. Anschließend fuhr ich zurück, um beim Müll sammeln im bzw. um dem Lager zu helfen. Es war der Wahnsinn. Die Menschen waren der Wahnsinn… ihre Energie. Und das ist gut so, denn auch der Müll dort ist Wahnsinn. Wir haben in 2 ½ Stunden 200 große und kleine Müllsäcke gefüllt und damit einen fast ausgetrockneten Kanal zwischen dem eingezäunten Lager und der Zeltstadt daneben vom gröbsten Müll befreit. Anschließend haben wir uns zusammen in einen Park gesetzt, Obst gegessen und getanzt. Ich tanze für gewöhnlich nicht, aber die Jungs hatten eine Energie, dass ich mich dem nicht entziehen konnte. Ich bin dankbar für die Erfahrung und die Menschen, die ich dort kennenlernen durfte. Sie inspirieren mich und spornen mich an!

Es kam des Öfteren vor, dass die Menschen im Transitlager mich fragten, wie das nächste Lager wird bzw. wie ich darüber denke. Das ist eine sehr schwere Frage. Also, was willst du sagen? Du willst niemanden belügen und du willst niemanden beunruhigen, denn eine Wahl haben sie jetzt nicht mehr. In der Regel kannte irgendwer jemanden aus dem Lager, sodass sie ahnten dass es nicht „schön“ wird. Ich erlebte es nur einmal, dass eine Gruppe wirklich keine Ahnung hatte. Nachdem ich lange überlegt habe und meine Mimik sicher schon eine Menge verriet sagte ich: „You are strong people and for Moria you have to be strong“. Ich hoffe, wenn sie sich an mich erinnern, denken sie nicht schlecht von mir.
Ein Mann meinte, dass es hoffentlich nicht so schlimm für die Kinder wird… Das hoffe ich auch – Inshallah!
„Ich bin stolz Deutscher zu sein“
Ein Satz der natürlich legitim ist, aber das fühle ich nicht und heute noch weniger als vor ein paar Monaten. Wie kann ich stolz sein auf Goethe oder Daimler? Mein Beitrag zu deren Werken und Errungenschaften ist nicht existent. Ich bin dankbar in einem Land wie Deutschland mit den Möglichkeiten und in Frieden aufgewachsen zu sein, aber stolz kann ich darauf nicht sein. Denn Herkunft ist kein Verdienst. Das germanische Wort „Volk“ meint einen Tross, der folgt. Germane wurde man nicht durch Geburt, sondern durch Verdienst… Ich war vierzehn Jahre lang absolut kein nützliches Mitglied dieser Gesellschaft. Zwar hatte ich in all den Jahren fast immer irgendwas – Schule, Studium oder Arbeit – gemacht, aber bis auf das Abitur hatte ich nichts abgeschlossen. Wahrscheinlich hatte ich sogar mehr Glück als Verstand, dass ich ohne Vorstrafen geblieben bin. Gleichzeitig hört man von arbeitenden bzw. zur Schule gehenden Menschen, die aufgrund eines abgelehnten Asylantrags abgeschoben werden sollen. Es scheint als wären nicht alle Menschen gleich.
Ich bin deutsch, das kann ich nicht leugnen. Ich denke auf Deutsch. Ich träume auf Deutsch und ich freue mich, wenn ich im Ausland jemanden treffe mit dem ich Deutsch reden kann und wenn es heißt eine Viertelstunde vor Schichtbeginn da sein, dann bin ich da.
Vielleicht bedeutet „stolz“ zu sein auch einfach nur, sich identifizieren zu können mit den
Leuten und/oder den hohen Damen und Herren?
Dieses Gefühl hatte ich in den letzten Jahren genau zweimal. Das erste Mal nach dem zugegeben überraschenden Beschluss aus der Kernenergie auszusteigen und das zweite Mal 2015 als Angela Merkel sagte: Wir schaffen das! Ich kann nur sehr selten etwas mit den politischen Entscheidungen der sogenannten Christdemokratie anfangen, aber dafür war ich dankbar. Es ist tragisch, was aus diesem Mut, dieser Überzeugung geworden ist.

„Auch wenn ein Deutscher nichts hat, Bedenken hat er“. [Kurt Tucholsky]

Nach dem zweiten Weltkrieg hat das ausgebombte, hungernde Land vierzehn Millionen Menschen aufgenommen, die auch damals keiner wollte. Heute sind wir reich und satt und tun uns mit einer Million an hilfesuchenden Menschen schwer.
In Gesprächen mit Menschen auf der Straße, z.B. bei (Info)Veranstaltungen der Seebrücke und sogar in sozialen Einrichtungen höre ich oft eine Mischung aus Futterneid und – so traurig es ist – Rassismus.
Ich glaube die Menschen sind oftmals sehr schlecht informiert…ein nicht zu unterschätzendes Problem in einer Demokratie. Der eine oder andere hatte vielleicht mal eine schlechte Erfahrung mit einem Immigranten oder aber sie hören Geschichten aus sogenannten alternativen Medien oder der BILD-Zeitung. Zweifellos spielt auch Angst eine Rolle und wie so oft sind Gefühle nicht rational. Nicht Migration, sondern soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichverteilung von Vermögen sind das Problem, dass es Parteien ermöglicht, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen und vorhandene rassistische Ressentiments anzufeuern.

„Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden“ vs. „Toleranz ist gut, aber nicht gegenüber den Intoleranten“ [Rosa Luxemburg vs. Wilhelm Busch]

Hier sind ein paar weitere Beispiele, wegen denen ich nicht stolz auf dieses Land sein kann:

  1. die unzulängliche juristische Aufarbeitung des Holocausts
  2. diese – für mich – unerträgliche Doppelmoral in der deutschen Außenpolitik: wenn z.B. Israel die Golan-Höhen besetzt oder Siedlungen baut…das ist sicher das heikelste Thema, deshalb ein anderes moderneres Beispiel: die Krimkrise (2014) und Einmarsch der Türkei in Kurdistan (2019)… Russland erhält „Sanktionen“, Türkei nicht
  3. die Gewissheit, dass der Iran Schuld ist an dem Anschlag auf saudische Ölfelder (August 2019)… wenn dieses Land sich ebenso verantwortlich fühlen würde für die Waffen im Wert von 6 Mrd Euro, die jedes Jahr exportiert werden!


Ich möchte nun den Bogen zu meinen Erfahrungen schließen: z.B. die Einstufung Afghanistans als sicheres Herkunftsland. Ich liebe die Berge und ich bin sicher, dass Afghanistan ein wunderschönes Land ist – trotzdem würde keiner, der bei Verstand ist, dort hinfliegen um Urlaub zu machen. Warum schließt sich hiermit der Kreis? Über 90% der Menschen, die an meiner Wirkungsstätte ankamen, waren Afghanen und Afghaninnen (50% davon waren Kinder!). Auch sie fliehen vor Krieg. Andere lebten schon seit über 20 Jahren im Iran, wo sie weder Schulen besuchen dürfen noch geregelte Arbeit machen dürfen. Sie sind dort illegal und haben in Afghanistan schon längst alles verloren. Ich habe eine Kinderzeichnung bekomme auf der in Farsi steht: Ich wünschte, Iran würde keinen Krieg gegen Afghanistan führen… Sowohl im Iran als auch in den griechischen Lagern geschehen eklatante UN-Kinderrechtsverstöße*.

* Art. 22: Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht,
Art. 28: Recht auf Bildung u.a.

Der EU-Türkei-Deal begünstigt syrische Staatsangehörige und was wird aus den vielen anderen Menschen!? Überhaupt, wo ist Deutschland? Ich habe in Griechenland lediglich NGO’s und griechische Behörden gesehen, die versuchen alles zu handlen.
Würde der Rest von Europa so viel leisten, wie die Griechen – wäre es zu stemmen. Aber das scheint gar nicht gewollt. Die Folge: die Flüchtlinge „versauern“ in überfüllten Lagern. Die Verschärfung der griechischen Immigrationsgesetze ist die Folge fehlender Unterstützung durch die Europäische Union. Besonders in Deutschland müssten alle Alarmglocken läuten, wenn Politiker dort von geschlossenen Lagern reden. Ich dachte immer, ich fühle mich als Europäer. Aber das ist nicht mein Europa. 2012 erhielt die Europäische Union für Menschenrechte den Friedensnobelpreis. Wo sind wir heute gelandet?
Dass die SPD momentan wieder über ein Kopftuchverbot streitet, zeigt nur wie weltfremd die Damen und Herren sind. Das ist reaktionär und dient lediglich den Rechtspopulisten.

Hochachtungsvoll
Pascal Loerch

boat spotting
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Griechenland (Festland) https://www.potsdam-konvoi.de/2019/11/griechenland-festland/ Tue, 05 Nov 2019 14:21:23 +0000 http://www.potsdam-konvoi.de/?p=1373 „Griechenland (Festland)“ weiterlesen

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„Europa“ setzt sich aus den griechischen Worten eurýs und óps zusammen, das heißt übersetzt „die mit der weiten Sicht“. Europa hat schon lange keine weite Sicht mehr. Ehrlich gesagt dreht sich Europa gerade vor ziemlich vielen Dingen weg. Wir gucken auf den Brexit und auf Trump, darauf dass die Deutsche Bahn sich schon wieder verspätet und der Cappuccino teurer geworden ist. Manchmal gucken wir sogar die Nachrichten. Das, was wir nicht sehen und auch nicht sehen wollen ist, was gerade an Europas Außengrenzen geschieht.

In Griechenland stecken im Moment rund 70.000 Geflüchtete fest. Viele befinden sich im Asylverfahren, das sich oft über Jahre hinzieht; die Termine für die Interviews, in denen die Menschen überhaupt erst ihren Fall der Asylbehörde vorstellen können, liegen mittlerweile zwischen 2021 und 2025. Das bedeutet, dass Menschen Jahre lang in Camps irgendwo in der griechischen Pampa ausharren müssen, ohne arbeiten oder studieren zu können, und auf einen bürokratischen Beschluss warten, der über ihr weiteres Leben entscheiden wird. Lange in Ungewissheit zu warten, keine Perspektiven und wenig Selbstbestimmtheit zu haben ist zermürbend und frustrierend. Viele der Menschen die ich in Griechenland getroffen habe sind einfach nur müde von dem Leben, was sie gerade dort führen müssen. Es ist nicht das Leben, für das sie aus ihrer Heimat geflohen sind. Sie verdienen genauso wie wir ein sicheres und würdevolles Leben.

Gleichzeitig gibt es aber auch viele engagierte und bunte NGOs, die sich solidarisch mit Menschen auf der Flucht zeigen und versuchen, etwas an der Situation in Griechenland zu verändern. Eine davon ist die Interuropean Human Aid Association (IHA) in Nordgriechenland, bei der ich für anderthalb Monate volunteer war. IHA führt ein Warehouse in Thessaloniki, in dem Sachspenden wie z.B. Kleidung sortiert, gelagert und an andere Organisationen verteilt werden. Außerdem hat IHA ein Community Centre in Lagadikia, einem kleinen Dorf, an dessen Rand ein Camp mit rund 550 Bewohner*Innen liegt. Im Community Centre gibt es einen Free Shop (dort können die Bewohner*innen mit einem Punktekontingent Lebensmittel und Hygieneprodukte einkaufen), Englisch-Unterricht und Kinderbetreuung, einen Safe Space für Frauen, Filmabende, Fußballnachmittage und Workshops. Oft saßen wir aber auch einfach abends zusammen und haben Uno gespielt und gequatscht, im Hintergrund Musik und das Klackern von Tischtennisbällen. Manchmal wurden auch Jam Sessions mit Gitarre und aus Teetassen improvisiertem Schlagzeug gestartet; oder Karaoke Abende veranstaltet, an denen alle zusammen mit Celine Dion „My Heart Will Go On“  jaulten.

Nach meiner Zeit in Thessaloniki habe ich noch einen Monat in einem Küchenprojekt nahe Athen gearbeitet. FoodKIND hat im Oinofyta Camp eine Community Kitchen gestartet und kocht täglich für eine Gruppe von über 350 unregistrierten Geflüchteten im Malakasa Camp.

Wer in Griechenland nicht als Asylsuchende*r registriert ist, bekommt in keiner Form Unterstützung durch die Regierung. Das bedeutet, dass unregistrierte Geflüchtete kein Geld durch die UNCHR-Cashcard beziehen können, kein Recht auf staatliche medizinische Hilfe und auch keinen Zugang zu offiziellen Camps haben. Deshalb müssen die Menschen in Malakasa in einem Zeltlager vor dem eigentlichen Camp leben, ohne Möglichkeiten für sich selbst zu kochen. Jeden Nachmittag fuhren wir dort in unserem Van vor und verteilten Mittagessen; fragten wie groß die Familien sind, um die Portionen einzuteilen, schaufelten mit großen Löffeln Hauptgericht und Salat in die Pfannen und Töpfe, die die Menschen mitgebracht hatten. Die Mahlzeiten hatten wir am Morgen frisch zubereitet; während in den Nachbargärten der Kleinstadt in der wir lebten griechische Opas und Omas ihren Rasen wässerten, schnippelten wir kiloweise Zucchini und Auberginen, hörten spanische Musik und rührten in den riesigen Töpfen Reis um.

Je länger ich in Griechenland war, desto trauriger und wütender wurde ich über das, was dort gerade geschieht. In der Charta der Grundrechte der EU steht: „In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.„. All diese Phrasen klingen in meinen Ohren nur noch hohl und verlogen, und ich schäme mich dafür wie sich die europäischen Staaten so systematisch ihrer Verantwortung entziehen und wie die Öffentlichkeit so ungerührt wegguckt.                                                      

Denn die Situation wird nicht besser; die Zahlen der Ankünfte auf den Inseln sind die höchsten seit 2015, Camps sind hoffnungslos überfüllt, die neue rechte Regierung in Griechenland verschärft Gesetzte und spricht von einer „strengeren“ Migrationspolitik, und der Winter, der die auf der Straße und in Zeltlagern Lebenden am härtesten trifft, rückt immer näher.

Ich weiß, dass das jetzt moralisch klingt, aber ich glaube wir müssen noch einmal grundlegend darüber nachdenken, für was für ein Europa wir stehen wollen.

(Alle Informationen in diesem Text stammen aus meinen eigenen Recherchen, trotzdem will ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität erheben. Der Text spiegelt keine Meinungen der genannten Organisationen wieder, sondern nur meine persönliche Meinung als Privatperson.)

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Nordlesbos https://www.potsdam-konvoi.de/2019/09/nordlesbos/ Fri, 27 Sep 2019 07:32:48 +0000 https://www.potsdam-konvoi.de/?p=1301 „Nordlesbos“ weiterlesen

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„In 20 min am HQ“, weckt uns ein Anruf morgens um 04.30. Das HQ (Headquarter), ist eine Ferienwohnung in einem kleinen idyllischen Fischerdorf an der Nordküste von Lesbos, Balkonblick zur nur wenige Seemeilen entfernten türkischen Küste. Hier finden die Debriefings nach so einer Nacht, wie der im Folgenden beschriebenen, statt. Auch die Einarbeitung und Fortbildung der Freiwilligen, die für mehrere Wochen bis Monate hier auf eigene Kosten helfen, wird hier durchgeführt. An welchen Kriterien erkenne ich ein Flüchtlingsboot im Fernglas und Nachtsichtgerät? Wie die verschiedene Behörden-, Frontex- oder NATO-Boote? Wie schätze ich Entfernungen auf dem Wasser und wie manövriere ich von Land aus die Schiffscrew unseres SAR-Schnellbootes, damit diese auf dem Wasser eine sichere Landung, der über das Meer kommenden Menschen, gewährleisten kann. Wie sieht die Ersthilfe bei Unterkühlung und anderen medizinischen Notfällen aus?

Wir fahren gemeinsam mit vier anderen Volunteers ins Notfall-Camp „Stage 2“, das einige Kilometer von der Küste entfernt liegt und in das nach und nach alle neu Angekommenen vom UNHCR und der Polizei gebracht werden, um sich erst einmal von der Überfahrt auszuruhen. Unser Koordinator gibt uns eine kurze Lagebeschreibung: 1 Boot mit ca. 50 Menschen an Bord ist direkt am Leuchtturm Korakas gelandet und wurde dort von den Volunteers, die dort mit Nachtsichtgeräten in kalten 30 Minuten andauernden Schichten das Meer scannen, gleich entdeckt. Ein 2. Boot wurde von der griechischen Küstenwache „intercepted“ und wird aktuell in den Hafen des Fischerdorfes gebracht. Im Auto werden noch Aufgaben verteilt: Tee kochen, das große Zelt mit Matten auslegen, die UNHCR-Decken oder Wasser verteilen. Durchgefrorene oder durchnässte Kinder und Erwachsene bekommen möglichst schnell warme und vor allem trockene Kleidung.

Viele Menschen haben vor ihrer Ankunft auf Lesbos schon Wochen und Monate der Flucht hinter sich. Es ist nicht vorstellbar, was viele Geflüchtete bis zu diesem Punkt bereits mitgemacht haben. Die Mehrheit der Geflüchteten hier kommt aus Afghanistan und Iran, aber auch Armenien und Irak. Auch aus afrikanischen Ländern, wie Demokratische Republik Kongo und Somalia, welche über die sog. östliche Mittelmeerroute kommen.

Schnell ist alles vorbereitet, große Generatoren heizen das Zelt, der Tee und die Decken sind bereit, die am Tag gewaschenen zum Trocknen aufgehängten „recycelten“ Schuhe sind in einer Kiste verstaut. Nach und nach kommen die ersten Autos, später auch Kleinbusse vom UNHCR.

Oft warten die Menschen auf der türkischen Seite einige Tage in den Wäldern auf eine günstige Gelegenheit, haben meist zu wenig Essen und Trinken dabei. Viele sehen müde aus, aber auch erleichtert.

Es sind unglaublich viele Kinder unter ihnen und einige alte und verletzte Menschen, die auf dem Weg gestützt werden müssen.

Auch eine im neunten Monat Schwangere mit Bauchschmerzen ist darunter und mehrere Menschen leiden unter starken Schmerzen und Unterkühlung. Leider gibt es auf der ganzen Insel nur ein Krankenhaus und weniger als eine Handvoll Krankenwagen, die eine Autostunde entfernt in Mytilini stationiert sind und dementsprechend lange brauchen, bis sie überhaupt hier sein können.

In Stage 2 befindet sich ein Container mit drei Krankenliegen und einigen Medikamenten zur Notfallversorgung sowie ein Defibrillator.

In dieser Nacht bleibt es nicht bei dem einen Boot, es kommen kurz darauf noch zwei weitere an. Insgesamt haben 129 Menschen die Überfahrt von türkischer Seite an die Nordküste der Insel Lesbos geschafft. Die Hälfte davon sind Kinder unter 14 Jahren.

Einer der Container wird als Unterkunft umfunktioniert. Insgesamt verbringen 129 Menschen hier heute den Rest der Nacht. Ein herzliches Willkommen und Basisversorgung, das ist was wir tun können. Am Morgen geht es aber in jedem Fall nach Moria weiter, in das überbelegte Camp, das auch in unseren Nachrichten bekannt ist, als Symbol für Perspektivlosigkeit und der unmenschlichen Abschreckungspolitik Europas.

Hinten im großen Zelt des Notfallcamps hängen 2, mit Buntstiften gemalte Kinderbilder. Gemalt aus der Bootsperspektive, das auf einen Strand zufährt, wo viele winkende Menschen stehen. Und mir schwirrt immer noch die Schilderung eines jungen Vaters im Kopf, nach derer die Schmuggler sie mit gezogener Waffe aufgefordert hatten, sich ohne Schwimmwesten in das bereitstehende Boot zu setzen und „selbst einen Kapitän zu wählen“. Der Mann, der „als einziger wenigstens schon mal im Urlaub ein Boot gefahren ist“ bringt 50 Menschen heil durch dunkle wellige See. Ihm war die Erleichterung, dass nichts passiert ist, noch Stunden später anzumerken. Soviel Glück hatten die Menschen eine Nacht später mit immer noch 3 vermissten Frauen und einem Kleinkind leider nicht.

 

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Redebeitrag https://www.potsdam-konvoi.de/2018/09/redebeitrag/ Wed, 05 Sep 2018 10:15:33 +0000 https://www.potsdam-konvoi.de/?p=1202 „Redebeitrag“ weiterlesen

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Für eine direkte Aufnahme Geflüchteter in Potsdam!

Ich spreche im Namen der Initiative Potsdam-Konvoi. Wir sind Potsdamerinnen und Potsdamer, die sich für Solidarität mit Flüchtenden in europäischen Krisengebieten einsetzen.

Seit Beginn unserer Arbeit 2016 können wir zuschauen, wie sich die humanitäre Katastrophe, die sich an den Außengrenzen der EU abspielt, sehenden Auges oder besser gesagt, politisch bewusst forciert, verschlimmert. Und damit ist nicht nur die Situation in Griechenland gemeint, denn im direkten Zusammenhang dazu stehen die Reaktionen der Europäischen Länder und Institutionen.

Die Geflüchteten, die es auf die griechischen Inseln geschafft haben, leben größtenteils noch in provisorischen Zeltstädten. Menschen werden teilweise seit Jahren dort festgehalten, damit sie nach einer Vorprüfung im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens schnell in die Türkei abgeschoben werden können. Das Camp Moria auf Lesbos, in dem jeden Winter Leute an den Folgen der Kälte sterben, wurde so zum Symbol des europäischen Versagens. Diese menschenunwürdigen Zustände an den Außengrenzen sind politisch so gewollt und nur ein Teil der inzwischen offen Menschenrechte missachtenden Abschreckungs- und Abschottungspolitik der Europäischen Union, die von der Bundesregierung mitverantwortet wird.

Dazu gehören neben dem EU-Türkei-Deal auch die Dublin-Verordnungen sowie die immer dreistere, jegliche Übereinkünfte und internationales Recht unterwandernde Kriminalisierung von privaten Seenotrettungsdiensten im Mittelmeer, um nur einige Elemente der aktuellen tödlichen Strategie zu nennen.

Ein entscheidender Teil dieser Strategie ist es, die libysche Küstenwache aufzurüsten um sie in die Lage zu versetzen, Menschen auf dem Mittelmeer aufzuhalten. Menschen nach Libyen zurückzubringen, ist allen europäischen Schiffen nach internationalem Recht verboten, da Libyen kein sicherer Ort ist.

Damit komme ich zu dem schrecklichsten Ort auf der Flucht:

Libyen

Die Ausmaße der Menschenverachtung zeigen sich an kaum einem Ort so deutlich wie in Libyen.

Schon seit Jahren bekannt, wurde im November 2017 durch internationale Medien öffentlich, dass in EU-finanzierten Gefängnislagern internierte Geflüchtete für ein paar hundert Euro in die Sklaverei verkauft werden. Und das ist noch nicht einmal das schlimmste Schicksal, das einem geflüchteten Menschen dort wiederfahren kann. Die Menschen werden auf engstem Raum zusammengepfercht, das Trinkwasser ist stark verschmutzt, Krankheiten grassieren und immer wieder gibt es Berichte über Gewalt und Tötungen. Frauen werden in separaten Lagern gezielt eingesperrt, systematisch vergewaltigt und zwangsprostituiert.

Es ist schwierig, die Grausamkeit und Barbarei in drei Sätzen aufzuzählen, aber es muss immer wieder gesagt werden.

Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ wird der Zutritt gar nicht, nur sporadisch bzw. unter prekären Bedingungen und Auflagen gewährt, damit nicht zu viel an die Öffentlichkeit gelangt.

Weiterhin stoppen täglich die EU-finanzierten libyschen Milizen Boote in internationalen Gewässern zwischen Libyen, Italien und Malta. Dort werden die notleidenden Menschen auf dem Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgebracht, wo ihnen erneut Menschenhandel, Folter, sexuelle Gewalt und Tod droht.

Wir fragen uns: Was muss passieren, damit das endlich aufhört?

Und innerhalb der EU?

Bereits vor vielen Jahren hat sich die EU unter deutscher Führung das äußerst komplizierte Dublin-Verfahren ausgedacht, um Geflüchteten das Leben so schwer wie möglich zu machen: Die sogenannte Dublin-Richtlinie sorgt dafür, dass Menschen auf der Flucht zwischen den Staaten hin und hergeschoben werden. Schon die Dublin III-Verordnung, die momentan gilt, ist geprägt von Unmenschlichkeit und nun soll eine Verschärfung erfolgen, bei dem das Recht auf Asyl mit Füßen getreten wird.

Die geplanten Änderungen der Dublin-Verordnung reihen sich ein in die militärische und repressive Abschottungspolitik der EU. Menschen, die vor Terror, Krieg und Perspektivlosigkeit geflohen sind, werden so ein weiteres Mal ihrer Menschenwürde und Hoffnung auf ein besseres Leben beraubt. Das EU-Grenzregime geht nicht nur über Leichen, sondern terrorisiert mit seinen menschenverachtenden Gesetzesregelungen das tägliche Leben zigtausender Menschen.

Und innerhalb Brandenburgs?

In Brandenburg liegt die Anerkennungsquote bei Asylentscheidungen weit unter dem Bundesdurchschnitt, hiesige Quoten weichen zum Teil bis zu vierzig Prozent von diesen ab. Eine Verteilung nach Brandenburg bedeutet für viele Geflüchtete eine weit geringere Chance auf Schutz und Anerkennung ihrer Fluchtgründe.  Nicht umsonst bezeichnet der Flüchtlingsrat Brandenburg dies als „verheerende Asyl-lotterie“.

Wenn geflüchtete Menschen in diesem Bundesland Asyl beantragen, bekommen Sie keine Unterstützung in ihrer Notsituation. Stattdessen dienen die brandenburgischen Erstaufnahmeeinrichtungen Eisenhüttenstadt, Frankfurt/Oder, Wünsdorf und Doberlug-Kirchhain der Zentralisierung und Kasernierung ohne Zukunft. SPD-Innenminister Schröter ist nicht nur für diese de-facto Ankerzentren verantwortlich, sondern auch für nächtliche Abschiebungen, die besonders Frauen und Kinder in Angst und Schrecken versetzen.

Indessen erklärte sich jüngst dieselbe Landesregierung bereit, Menschen, die auf dem Rettungsschiff, der Lifeline waren, in Brandenburg aufzunehmen.

Was ist seit dem Bekenntnis zu einer Aufnahme der aus Seenot geretteten Menschen durch die Landesregierung konkret dafür getan worden?

Nichts.

Wir fordern, dass diesen schönen Worten schnellstmöglich Taten folgen, damit die Menschen in Sicherheit leben können!

Und vor allem nicht hinterrücks wieder in Krieg und Elend abgeschoben werden, im vergangenen Jahr waren 624.

Wir fordern möglichst kurze Verweildauern in den Erstaufnahmeeinrichtungen.

Und in Potsdam?

Indessen ist die Solidarität mit geflüchteten Menschen bei den Potsdamerinnen und Potsdamern weiterhin groß. Durch das Engagement einzelner Stadtverordneter wurde 2016 in Potsdam  – als einziger ostdeutsche Stadt bislang – der Beschluss gefasst, sich für Familienzusammenführungen einzusetzen und die Aufnahme schutzbedürftiger Geflüchteter aus Griechenland explizit zu begrüßen und zu wünschen.

Doch leider ist seitdem praktisch nichts passiert! Auf dieser Basis wurden bis heute noch keine geflüchteten Menschen aus Griechenland nach Potsdam geholt.

Es gibt Familien, die aus dem Erstaufnahmezentrum nach Potsdam verteilt werden sollen. Wir appellieren an die Stadt, dass das schnellstmöglich umgesetzt wird. Wir erwarten dass alles getan wird, damit Familien bleiben können und nicht nach Griechenland abgeschoben werden!

Kritikwürdige Zustände gibt es viele. Ich gehe kurz exemplarisch auf die Wohnungssituation in Potsdam ein.

Geflüchtete, die aus Gemeinschaftsunterkünften in eine eigene Wohnung ziehen möchten, stehen auch aufgrund verfehlter Wohnungspolitik vor dem Problem der allgemeinen Wohnungsknappheit. Besonders diejenigen, deren Aufenthaltsperspektive über lange Zeit ungeklärt ist, haben schlechte Chancen, eine Wohnung zu finden. Viele Menschen leben so über Monate, wenn nicht sogar Jahre in prekären Verhältnissen mehr oder weniger isoliert in Gemeinschaftsunterkünften.

Bedauerlicherweise wird die Wohnungsknappheit in Potsdam politisch in viel zu geringem Maße aufgefangen, sondern durch Privatisierung von öffentlichem Eigentum noch verschärft.

Wir brauchen viel mehr sozialen Wohnungsbau, statt Grundstücke an private Investoren zu verkaufen.

Vor zwei Wochen haben wir wieder blumige Worte von Hr. Jakobs und Hr. Schubert gehört, indem sie sich bereit erklären, aus Seenot gerettete aufzunehmen. Was ja angesichts des herrschenden Diskurses eigentlich begrüßenswert ist. Nur blieb das Bekenntnis bislang folgenlos!

Vielmehr sind im 1. Halbjahr 2018 nur 48 Geflüchtete nach Potsdam gekommen. Das ist zu wenig!

Wir fordern von der Stadtspitze und der Verwaltung ehrliche, aktive und konsequente Maßnahmen für Familienzusammenführungen und außerdem die Aufnahme von Menschen, die aus Seenot gerettet wurden!

Wir möchten Sie daran erinnern, dass bloße Lippenbekenntnisse, die Wahlkampfzwecken dienen, noch keinem Menschen geholfen haben!

Unser Appell richtet sich auch an die Ausländerbehörde

Wir wünschen uns, dass hier gemeinsam mit den Leuten nach Lösungen gesucht wird, anstatt Steine in den Weg zu legen.

Die Ausländerbehörden vollziehen die bundesweiten Ungerechtigkeiten gegenüber Geflüchtete im lokalen Rahmen.

Hier wird viel zu oft gegen die Menschen entschieden anstatt Spielräume für sie auszuloten.

Der Eingangsbereich des sog. Frontoffices und die Terminvergabe erwarten eine demütige Haltung jedes Geflüchteten. Wenn diese den Bearbeiter*innen nicht ausreicht, werden falsche Auskünfte erteilt, gehen Dokumente verloren, wird auf den nächsten Termin verwiesen etc.

Viele Geflüchtete berichten von einer großen Diskrepanz im Verhalten und dem Ergebnis, wenn sie allein oder in Begleitung eines flüssig deutsch sprechenden Menschen sind.

Nach der Wiederauflage der Großen Koalition mit dem besonders widerwärtigen flüchtlingsfeindlichen Gebahren der CSU hat sich die Situation noch einmal verschlimmert.

Wir möchten Sie auffordern, mit den Menschen gemeinsam nach Perspektiven zu suchen. Wir appellieren an Sie, Ihre Spielräume FÜR die Menschen zu nutzen und nicht GEGEN sie. Sei es, zum Beispiel schneller eine Erlaubnis zu bekommen, einer Arbeit nachgehen zu können, ihre Familien bei sich zu haben und eine Wohnung zu finden.

Ewig lange Asyl- oder Familienzusammenführungsverfahren und Ablehnungen führen zu kostenintensiven und zermürbenden Gerichtsverfahren. Das führt zu schwerwiegenden psychologischen und individuellen Folgen und würde jedem und jeder zu schaffen machen!

Deshalb nochmals: Begreifen Sie ihre primäre Aufgabe NICHT als willige Vollstrecker*innen von Verwaltungsakten!

Ihre Aufgabe ist nicht die Abwehr und Zerstörung von Existenzen, sondern die Begleitung und Unterstützung von Menschen!

Wir fordern generell:

ein Recht auf Asyl!
die Abschaffung der Erstaufnahmezentren!

Als erster Schritt dafür sollte Hilfe, menschenwürdige Behandlung und kurze Verweildauer in den Brandenburger Erstaufnahmezentren zum Grundprinzip werden und wir wollen keine Einrichtung von Ankerzentren durch die Hintertür!

Wir fordern: schnellstmögliche Unterbringung in Wohnungen und Schaffung der Voraussetzungen dafür!
Wir fordern: Keine Abschiebungen! Besonders keine überfallähnlichen Einsätze der Polizei bei Nacht.
Wir fordern: Zugang zu Beratungen und Hilfsleistungen und beschleunigten Familiennachzug!

 

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Die EU finanziert Folter und Sklaverei in Libyen https://www.potsdam-konvoi.de/2017/12/die-eu-finanziert-folter-und-sklaverei-in-libyen/ Wed, 13 Dec 2017 01:01:52 +0000 https://www.potsdam-konvoi.de/?p=983 „Die EU finanziert Folter und Sklaverei in Libyen“ weiterlesen

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Common Day of Action am 18. Dezember 2017, Internationaler Tag der Migrant*innen.

In Potsdam und Berlin wird es Aktionen geben, sowie in vielen europäischen Ländern und Tunesien. Lasst uns laut sein und dem Wahnsinn etwas entgegensetzen, denn die Mittel die Europa zur Sicherung der Festung einsetzt verstoßen gegen alle Menschenrechte:

Ich sterbe lieber im Mittelmeer, als zurück nach Libyen zu gehen.”

Das sind die direkten Worte von fast allen Migrant*innen, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden.

Während der letzten 3 Jahre geschehen schreckliche Gräueltaten, wenige Kilometer vor der europäischen Küste. Libyen, das Land von dem so viele Migrant*innen ablegen, auf dem Weg nach Europa, ist zu einem Ort des extremen Leids geworden.Nach dem Bürgerkrieg gibt es dort noch immer keine Zentralregierung. Stattdessen gibt es rund 1700 verschiedene bewaffnete Gruppen und Milizen, die sich oft gegenseitig um die Kontrolle der Schlüsselgebiete wie zum Beispiel Tripol bekriegen. Diese Gruppen kontrollieren viele der Gefangenenlager im Land, in denen Migrant*innen in einem Kreislauf von Ausbeutung und Folter festgehalten werden. Viele Überlebende auf dem Mittelmeer haben ihre Erlebnisse geschildert:

 

In Libyen unterscheiden sie nicht zwischen Minderjährigen, Frauen oder Kindern, sie foltern uns alle. Es ist total gesetzlos, jede Gruppe handelt, wie sie will. Sie fangen uns wie wilde Tiere, mitten auf der Strasse,  und halten uns in privaten Gefängnissen. Jede Gruppe hat ihr eigenes Gefangenenlager. Jeden Tag siehst du in diesen Zentren Menschen sterben, jeden Tag. An Folter, Krankheiten, Hinrichtungen. Wenn du ihnen das geforderte Geld nicht gibst, schneiden sie dir die Finger ab, foltern und töten dich mit Stromschlägen, schlagen oder peitschen dich bis du ohnmaechtig wirst. Ihr einziges Ziel ist es, Lösegeld von unseren Familien zu bekommen, die noch zu Hause sind. Um die Bezahlung zu beschleunigen, versammeln sie uns jede Woche im Hof, stellen uns in eine Linie und töten wahllos eine*n von uns. Ich habe Menschen auf diese Weise ermordet werden sehen. Über einen Mann schütteten sie Benzin und verbrannten ihn lebendig. Nachts hören wir die Schreie von den Mädchen, die von den Wachposten vergewaltigt werden. Manchmal vergewaltigen sie, als Foltermethode, eine Frau vor den Augen ihres Mannes.

Wenn die Familien der Migrant*innen kein Geld schicken können, werden die Migrant*innen als Sklaven verkauft, um „donkey jobs“ (Affenarbeit) zu machen, wie afrikanische Migrant*innen es selbst bezeichnen. Gefangenenlager in Libyen sind faktisch Sklavennhäuser. Sklavenbesitzer*innen können kommen und eine*n Migrant*in kaufen und sogar einen Beleg für dieses Geschäft erhalten. Im ganzen Land herrschen diese Zustände, deswegen stellt Flucht keine realistische Option dar.

Wer 4-5 Monate ein solches Leben überlebt, bekommt eventuel einen freien Platz auf einem der Boote der Sklavenbesitzer*in, um den Weg nach Europa fortzusetzen, “genehmigt”. Dieses System schafft Platz für neuankommende Flüchtende. Die meisten Migrant*innen haben nicht bezahlt, wenn sie auf die Boote kommen, sie sind Sklav*innen, die fliehen. 

NGOs schätzen, dass zur Zeit rund 1,2 Millionen Menschen in Libyen unter solchen Umständen leben.

Die Europaeische Union unternimmt nicht nur nichts gegen diese tötlichen Camps, sondern finanziert sie faktisch und sieht sie als Part des europäischen Plans gegen Immigration. Aus offiziellen Berichten wissen wir, dass das meiste Geld der EU in Libyen, nicht für die Stabilisierung des Landes, sondern für die Eindämmung der Migration gegeben wird.Die EU erkennt die Milizen in Tripoli, als rechtmässige Regierung an (“government of national accorde”) und gibt ihnen Geld für den Bau weiterer Gefangenenlager .Gleichzeitig finanziert und trainiert die EU die sogenannte libysche Küstenwache, wie sie Boote aufhalten und Migrannt*innen wieder zurück nach Libyen schicken können, als Durchführungsmassname des Maltaabkommens, welches im Februar 2017 von allen EU-Staaten unterzeichnet wurde und 200 Millionen Euros, technische Ausrüstung und Patrollierboote, für die kriminelle libysche Küstenwache und deren Antimigrationsmassnahmen, beinhaltet. Mehr als 90 libysche Küstenwachen wurden von der EU bereits ausgebildet.

Ihre ofizielle Stellungnahme dazu ist, dass sie sie darin trainieren, gegen Schmuggler*innen anzukämpfen und Rettungseinsätze durchzuführen. Die Wahrheit ist jedoch, dass unter dem Vorwand “Rettung”, Boote und mit ihnen die Fliehenden zurück in die Hölle der libyschen Gefangenenlager gebracht werden – mit dem Wissen und der Zustimmung Europas.Es gibt unzählige Berichte von Geflüchteten die erzählen, dass libysche Gruppen die Boote überfallen, auf sie geschossen oder den Motor geklaut haben, und die Menschen dann zurückgelassen haben, zu Tode treibend. Andere berichten, dass die Küstenwache sie gefangen nahm und sie als Sklav*innen verkauft wurden. Viele dieser illigalen Rückführungen wurden gemeinsam mit oder im Wissen der EU-Militärsflotte durchgefuehrt (Operation Sophia).

Anscheinend fühlt sich die libysche Küstenwache, durch das Abkommen mit der EU, so bestärkt dass sie immer wieder Boote der NGOs belässtigen, indem sie die Boote in Gewahrsam nehmen, an Bord kommen oder sogar direkt auf sie schiessen.

Als Ergebniss dieses schmutzigen Abkommens ist die Zahl der Ankommenden in den lezten drei Monaten zurück gegangen. Die Milizen haben ihr Geschäfft angepasst. Die Menschen, die ausreichend Geld haben werden an die Aussengrenzen geschmuggelt. Ein anderer Bürgerkrieg hat begonnen, da die Gruppen gegeneinander kämpfen, um die Finanzierung der EU zu bekommen. Wer die Handelsplätze kontrolliert bekommt das Geld aus Europa. Menschen auf der Flucht werden als Ware gehandhabt, die von Hand zu Hand gereicht wird, jenachdem, wer in welchem Gebiet siegt.

Migrant*innen in Libyen sind verzweifelter als je zuvor. Sie sind gefangen in einer Sklavenzone ohne Ausweg. Sie können weder vor noch zurück. Zur selben Zeit feiert Europa über den Rückgang der Zahl der Ankommenden. Praktisch feiert es die Rückkehr gefolterter Menschen zu ihren Folterern, missbrauchter Frauen zu ihren Vergewaltigern.

Wir können nicht ruhig bleiben, während die Länder in denen wir leben, Verbrechen gegen die Menschheit unterstützen und finanzieren.

Wir erheben uns, gegen das kriminelle System der Festung Europa.

Wir fordern die sofortige Beendigung der Finanzierung von Folter in Libyen.

Beendet Sklaverei und willkürliche Inhaftierung in Libyen.

Freie Wege, medizinische Versorgung und Schutz für alle Opfer von Folter und Menschenhandel.

Solidarität mit Migrant*innen und Flüchtenden

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