Alltag vor der Grenze

Viele Flüchtende leben nach der Räumung von Idomeni noch immer in „wilden Camps“ nahe der Grenze an Rastplätzen, Tankstellen, in verfallenen Häusern oder auf Feldern.

Viele der Helfer aus Idomeni sind abgereist oder haben sich anderen, weiter entfernten Projekten zugewandt. Doch viele der Flüchtenden sind nicht in die offiziellen Lager gegangen – sie verharren weiter in unmittelbarer Nähe zur Grenze:

Ein inoffizielles Camp liegt zwei Kilometer vor der mazedonischen Grenze, direkt am Hotel „Hara“, kurz vor dem Ort Evzoni. Die Menschen überqueren im Minutentakt die Autobahn um zum anderen Teil des Lagers zu kommen – viele Menschen haben sich in und an einem verfallenen Haus niedergelassen, Zelte befinden sich auch kaum 100 Meter weiter in einem Waldstück, neben einer BP-Tankstelle.

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Zelte im Wald hinter der BP-Tankstelle – Foto: Richard Jaletzki

Ein „Baby-Hamam“ in dem Babys und Kleinkinder gewaschen werden können, eine koordinierte Essensausgabe, ein paar Helfer die mal mehr, mal weniger regelmäßig Notwendiges verteilen – Schuhe, Essen, Wasser, … Etwa 500 Menschen harren hier noch aus. Manche lassen sich freiwillig in offizielle Lager bringen. Die Situation in diesen ist jedoch zumeist schlimmer als in den „wilden“ Lagern – verlassene Lagerhallen mit langen Reihen aus Zelten oder Plätze abseits der Stadt auf freiem Feld an einer Flugzeuglandebahn, wie im Camp „Nea Kavala“ bei Polikastro. Eine flüchtende Frau aus einem solchen Camp berichtete, man fühle sich behandelt wie ein Tier. Dass einige die inoffiziellen Camps bevorzugen ist mehr als verständlich, auch weil die Registrierung und Bearbeitung der Asylanträge sehr schleppend verläuft.

Wenige Kilometer südlich von Hara befindet sich das „EKO-Camp“, eine EKO-Tankstelle an der Autobahn. Im Grunde ein Rastplatz wie jeder andere, auch in Deutschland – mit Zelt an Zelt an Zelt auf den Grünflächen, unter dem Tankstellen-Vordach oder einfach auf dem blanken Asphalt. Über 1600 Menschen bestreiten hier ihren Alltag, welcher nun mit Beginn des Ramadan bei den hohen Temperaturen und den komplizierten Lebensumständen umso schwieriger ist. Die Helferstrukturen sind besser organisiert als im Hara-Camp – es gibt Ärzte vor Ort, eine Küche, Unterhaltung durch das Radio „No Border“ und andere von den Flüchtenden organisierte Events.

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Zelte bei der EKO-Tankstelle – Foto: Tom Götze

Wir sind hauptsächlich in diesen inoffiziellen Camps und den zugehörigen Warehouses tätig, in denen die Spenden gelagert und sortiert werden. Wir unterstützen bei der Versorgung der Leute mit dem Allernötigsten, verteilen Windeln, Klopapier, Seife, Kleidung, Wasser, helfen beim Babies waschen und schauen, was gebraucht wird. Praktisch springen wir aber von einer Aufgabe zur nächsten, kümmern uns um das was im jeweiligen Moment anfällt – so beispielsweise auch das Zusammentragen von alten UNHCR-Decken, welche später von der Gruppe „Dirty Girls“ eingesammelt und medizinisch gereinigt werden.

Aber auch die Menschen in den offiziellen Camps benötigen Unterstützung. Es ist Feld-und Wiesen-Versorgung angesagt. Zusammen mit dem Arzt Joost Rot versorgen wir in einem VW-Bus oder in freier Natur einen ca. 20-jährigen Patienten aus einem offiziellen Camp mit chronischen Lymphödemen an beiden Beinen, die mit Bandagen gewickelt werden müssen. Diese Versorgung wird von offizieller Seite nicht für nötig erachtet und dort nicht geleistet.

Wenige der Flüchtenden hier haben noch Hoffnung, dass die Grenze geöffnet wird, mehr versuchen in der Nacht auf eigene Faust oder mit Schleppern über die Grenze zu kommen, weiter Richtung Deutschland, Skandinavien oder einem anderen europäischen Land – obwohl es schier aussichtslos scheint. Sie beschreiten den beschwerlichen Weg über die Berge, oft ganze Familien mit kleinen Kindern und älteren Angehörigen. Die meisten werden jedoch von der versammelten Grenzpolizei der EU geschnappt, eingesperrt und wieder nach Griechenland gebracht. Einige kommen schwer misshandelt zurück. Man merkt, dass sich Hoffnungslosigkeit verbreitet – einige sind schon zurück in die Türkei, manche wollen sogar zurück ins Kriegsgebiet Syrien. Verdenken kann man es ihnen nicht: Sie haben hier nur noch die „Wahl“ zwischen abgeschiedenen, dreckigen, schlecht bis gar nicht versorgten und verlassenen Zeltlagern an Orten, an denen sie nicht sein wollen. Dies ist das Resultat einer menschenunwürdigen Politik. Die Menschen, die vor Krieg fliehen, werden zu Objekten politischer Willkür gemacht.