und jetzt?

Ein Update und noch ein paar der wichtigsten Eindrücke, die uns noch lange lange im Kopf bleiben werden:

– DIE SCHULE –

Auch unser letzter Schultag findet nicht in dem Schulraum, sondern in einem anderen großen, sehr ungemütlichen Zelt statt. Es hatte geregnet. Eigentlich schon vor ein paar Tagen, doch der Boden ist immer noch überflutet und um das Dach der Schule reparieren zu können fehlten uns während unseres Aufenthaltes die Materialien und leider auch die Zeit. Im Zelt ist es viel unruhiger. Kinder laufen hindurch, lenken die Lernenden ab und machen Späße mit und über uns. In den letzten Wochen kamen immer weniger Schüler*innen zum Unterricht. Wir fragen uns immer noch, ob das an uns liegt, an der frühen Uhrzeit oder doch an dem Versprechen, dass in Zukunft die Kinder evtl. nach Thessaloniki in eine „richtige Schule“ gefahren werden. Leider wissen wir, im Gegensatz zu den Träumen der Kinder, dass dies frühestens 2017 in die Tat umgesetzt werden wird.

Zwei Unterrichtsstunden haben die meisten gebraucht um dieses Arbeitsblatt auszufüllen. Am beliebtesten war das ausmalen aber auch die Worte die wir an die Tafel schrieben wurden hochkonzentriert versucht abzuschreiben. Am Besten funktionierte Enzelbetreuung, was bei den vielen Schüler*innen leider nicht immer möglich war.
Am beliebtesten war das ausmalen, aber auch die Worte, die wir an die Tafel schrieben wurden hochkonzentriert abgeschrieben.
Namensschilder
Namensschilder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

– FRAUENZELT –

Nachdem wir also das Zelt aufgebaut hatten, endlich Paletten und Spanplatten besorgt und damit den Boden bauen konnten, haben wir aus den selben Materialien noch einen Tisch und eine Art „Sofa“ gebaut.

Das erste Mal dekorieren hat auch uns Spaß gemacht und wir sind anfangs stolz, dass wir ein Projekt zu Ende gebracht haben.
Das erste Mal dekorieren hat auch uns Spaß gemacht und wir sind anfangs stolz, dass wir ein Projekt zu Ende gebracht haben.

Die Teppiche sowie eine Tischdecke, die Zeltwände und Bodenplatten wurden alle fest geschraubt, damit keine*r sie mitnehmen kann. Alles an Spielen und Dekorationsmitteln, wie z.B:  Kissen, Spiegel, Lampen, etc., welche die Mädchen sich von uns wünschten, packten wir in eine große Tüte, die in einem Lagerraum des Camps eingeschlossen wird. Wir stellten außerdem zwei große Boxen zusammen, mit Schminke, Nagellack, Perlen, bunter Wolle, etc.  für die „großen“ und die „kleinen“ Mädchen. Auch sie werden eingeschlossen. Der einzige Nachteil daran: Das  Projekt kann so leider nicht ohne eine*n anwesende*n Volunteer funktionieren, der/die zur verabredeten Uhrzeit, den Mädchen die Materialien aus dem Lagerraum gibt und sie dann am Ende wieder dort einschließt.

Siam schreibt die Regeln der älteren Mädchen in arabisch auf ein Blatt Papier, und mir in Englisch in mein Notizbuch.
Simaf schreibt die Regeln der älteren Mädchen in arabisch auf ein Blatt Papier, und mir in Englisch in mein Notizbuch.

Beim einweihenden Plenum mit allen zusammen, leuchten viele große Augenpaare. Beide Gruppen einigten sich auf ähnliche Regeln, und als am nächsten Tag, wie verabredet, die älteren Mädchen als erste ins Zelt dürfen, wird freudig und feierlich die große Box geöffnet. Ich bleibe nicht die ganze Zeit in dem überhitzten Schutzraum, denn andere Arbeit steht an, doch als ich ein paar Stunden später wieder einen Blick hineinwerfe, haben sich die meisten schon hübsch gemacht und strahlen mich an. Es riecht nach Nagellack, vielen Menschen und aus der tragbaren Musikbox ertönt laute arabische Musik.
Am zweiten Tag, an dem endlich auch die jüngeren Mädchen die Zeit in ihrem Zelt nutzen können sollten, erleben wir allerdings schon den ersten Rückschlag, denn in der Nacht war jemand in das Zelt eingebrochen, hatte eine Tischdecke zerrupft, auf den Tisch gepinkelt und sogar in den Eingangsbereich gekackt. Die Mädchen allerdings nahmen alles selbst in die Hand und putzten, ohne sich zu beschweren, das Zelt wieder sauber. Vielleicht war ich sogar die enttäuschteste von ihnen, denn es schien, als hätten sie schon mit etwas ähnlichem gerechnet.
Es ist schade, dass wir dieses Projekt erst so sehr am Ende unseres Aufenthaltes fertig stellen konnten und so dessen Entwicklung nicht mehr selbst mitverfolgen können.

Wir erfahren im Nachhinein, ca. eine Woche nachdem wir das Lager verlassen haben, dass das Zelt inzwischen zerstört ist und nicht mehr genutzt werden kann. Das liegt vor allem daran, dass es keine Volunteers gibt, die sich diesem Projekt annehmen.

– WARME SCHUHE – 
Unser eigentliches Anliegen war es einst gewesen etwas für die Frauen positiv zu verändern. Wie wir erst selbst lernen sollten, war es kein Schutzraum, den sie brauchten, sondern Sicherheit und Wärme für ihre Kinder. In den letzten paar Tagen, die wir in Thessaloniki verbrachten setzten wir noch einmal alles daran, genug warme Schuhe für alle Kinder in KALOCHORI zusammen zu bekommen, die wir bis dahin noch nicht austeilen konnten. Also klaubten wir alle Schuhe aus den Warehouses zusammen, die wir finden konnten, mussten mit gekauften second-hand Schuhen den Vorrat noch aufstocken und können schließlich jedem Kind die Füße wärmen. Das Austeilen allein dauert einen ganzen Tag, denn jedes Kind soll schließlich Schuhe bekommen, die ihm/ihr auch wirklich gut passten. Es war schon dunkel, als auch  die letzte Mutter, bereit zur Diskussion über den Umtausch der Schuhe ihres Kindes, mit dankendem Blick zurück in ihr Zelt geht. Das Gefühl etwas wichtiges geschafft zu haben ist unbeschreiblich gut.

– VERSORGUNG –

Der Raum ist winzig. Er dient nur zum Lagern der Lebensmittel. Gekocht wird draußen.
Der Raum ist winzig. Er dient nur zum Lagern der Lebensmittel. Gekocht wird draußen.

Das Essen, welches dreimal täglich vom Militär an die Menschen im Lager ausgeteilt wird, ist zwar eine gute Lösung für eine Notfallsituation, doch die herrscht schon lange nicht mehr. Über einen Zeitraum von sechs Monaten braucht ein Mensch mehr als immer nur Reis, Nudeln oder Kartoffeln. Als Alternative zum Militäressen gründeten ein paar Volunteers vor gar nicht allzu langer Zeit im Dorf Kalochori eine Küche. Dort kochten Freiwillige und Menschen aus dem Lager, finanziert von Geld- und auch Lebensmittelspenden, täglich für das Camp. Seitdem jedoch das warme, gekochte Essen von den Bewohner*innen abgelehnt wurde, werden in KALOCHORI nun zwei mal wöchentlich Gemüsetüten ausgeteilt und die Menschen kochen sich eigenes Essen in ihren Zelten. Das ist zwar wegen der Brandschutzvorschriften äußerst riskant, jedoch einfach nicht zu verhindern. Eine „Legalitäts-Grauzone“ sozusagen. Die Kalochori-Küche und zwei weitere Kocheinrichtung kochen nun „nur noch“ für die Obdachlosen in den Straßen Thessalonikis.
Eine unserer täglichen Aufgaben war es, Milch zu verteilen, zumindest an die Zelte, in denen größere Familien mit kleinen Kindern lebten. Alle anderen bekamen zwei mal wöchentlich zwei Liter Milch. Möglich war dies aufgrund einer großen Spende, doch die ist jetzt ausgeschöpft.Das Geld des Camps ist knapp und fast leer. Wir konnten die fragenden enttäuschten Gesten der Menschen nur mit Schulterzucken beantworten.

– DIE STRUKTUREN –

Die Halleneingänge sind große Schiebetore, doch zwei davon sind kaputt.
Die Halleneingänge sind große Schiebetore, doch zwei davon sind kaputt und lassen sich nicht mehr schließen.

Der letzte Blick auf das Lager glich beängstigend gut dem ersten Blick, fünf Wochen früher. Eines der Themen bei unserem ersten „Camp-Rundgang“ war der Regen, und fehlende Vorhänge an einer Seite der Halle, wo zwei große Schiebetore nicht mehr funktionstüchtig sind. Hier prasseln Wind und Regen auf mehrere Zelte, in denen gerade neugeborene Kinder leben. Fest stand: Da packen wir mit an! Mit der Zeit wurde uns immer mehr bewusst, wie viel doch vom Militär abhängt. Denn obwohl wir mehrere Male nachfragten und mit Energie bereit standen, ist doch in den fünf Wochen diesbezüglich nichts passiert. Da das Campgelände Eigentum des griechischen Militärs ist, muss jeder größeren Veränderung erst zugestimmt werden. Und auch hier haben nicht etwa die anwesenden Vertreter des Militärs das Sagen, sondern ein einziger Antrag läuft erst über verschiedene Ministerien um bewilligt und dann schließlich in die Tat umgesetzt zu werden. Das dauert entschieden zu lange.

Beobachten konnten wir eine weitere Entwicklung: Anstelle von unabhängigen Volunteers, wie uns oder die Koordinatorin Diane, treten mehr und mehr Regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) in den Vordergrund. Beispielsweise übernehmen solche die Koordination der Warehouses, was speziell für unsere Arbeit neue Verträge und Regeln zur Folge hatte.  Das erschwert einerseits die Arbeit der Volunteers noch mehr und zieht einzelne Vorgänge  unnötig in die Länge. Andererseits bringt es auch Kontrolle und Wissen über einzelne Tätigkeiten, die parallel stattfinden und schwer zu überblicken sind. Generell konnten wir während unserer Arbeit leider eine wenig zielführende und kooperative Kommunikation der verschiedenen NGOs untereinander feststellen.

– ES WIRD WINTER –
Als IDOMENI anfang diesen Jahres geräumt wurde und in der Umgebung Thessalonikis die zwanzig neuen Militärcamps entstanden, dachte noch keiner an das Jahresende – Den Winter. Dass auch im November die Menschen noch in den Zeltlagern feststecken würden hatte irgendwie keine*r so recht bedacht. KALOCHORI war, wie die meisten Lager, nicht dafür ausgelegt auch in der kalten Jahreszeit noch zu bestehen. Das ist jetzt anders. Wegen den langsamen Registrierungsvorgängen und den politischen Umständen in vielen EU-Ländern, sind immer unzählig viele Flüchtende dort. Nun müssen Vorkehrungen getroffen werden, dass die Frauen, Männer und die enorm vielen Kinder den Winter in den Zelten überstehen. Unserer sehr persönlichen Einschätzung nach, ist das Umsetzen dieser Vorkehrungen, in einer menschenwürdigen und fairen Art, mit den vorhandenen Strukturen nicht machbar.

SOFTEX- Die Zelte, die draußen stehen, haben keinen Regen-, Kälte- oder Windschutz. Im Winter wird es kalt.
SOFTEX- Die Zelte, die draußen stehen haben keinen Regen-, Kälte- oder Windschutz. Im Winter wird es kalt.

Wieder zurück in Deutschland denken wir, zwischen unseren beheizten, Schall- und Kältedichten Wänden sitzend, noch viel an die Menschen, die dort in Griechenland festsitzen. Nicht nur in den Camps, sondern auch auf den Straßen. Ungeschützt und mit einem langen, fast chancenlosen Weg vor sich. Und wir fühlen diese riesige Wut, diese Hilflosigkeit und den Drang, dass dort umbedingt etwas geschehen muss.