Ganz und gar nicht.
Wir von Potsdam-Konvoi sind aus dem griechisch-mazedonischen Grenzgebiet in der Nähe von Idomeni zurückgekehrt. Für zwei Wochen waren wir in den inoffiziellen Camps Hara/BP und Eko sowie in einigen Militärlagern unterwegs und haben die Flüchtenden vor Ort unterstützt. Der Hilfebedarf ist auch nach der Räumung von Idomeni und den anderen inoffiziellen Lagern riesig. Die unwürdigen Lebensbedingungen in den Militärcamps haben uns sehr betroffen gemacht. Von den im Vorfeld gesammelten Spendengeldern wurden 2000 Euro an Joost Rot, einen unabhängigen Arzt, und weitere 2000 Euro an das Nuture Project International, eine Hilfsorganisation, die Schutzräume für Schwangere und Mütter in den Militärlagern schafft, gespendet.
Im Einzelnen waren wir im Warehouse, einer Sammelstelle für Sachspenden aus ganz Europa aktiv. Hier sortierten wir Kleidung, die wir anschließend in den Camps verteilten. Wir stellten sogenannte Ramadan-Packages zusammen, Essenspakete zum Fastenbrechen im Ramadan. Von Zelt zu Zelt gehend verteilten wir diese in einem Militärcamp. Das spanische Team im Baby-Hamam, einem geschützten Ort zur Kinderpflege, freute sich auch über unsere Hilfe. Dort konnten wir auch vielen Eltern, deren Kinder von Läusen bzw. Flöhen befallen waren, mit entsprechenden Maßnahmen unterstützend zur Seite stehen.
Bei Bedarf arbeiteten wir auch in der selbstorganisierten Eko-kitchen und beteiligten uns an der Essensausgabe. Unser Informatik-Student unterstützt die Koordination der Helfer*innenstrukturen auch weiterhin von Potsdam aus. Die Hilfe, zu der auch Gespräche mit Flüchtenden und das Spielen mit den zahlreichen Kindern gehörte, dauerte oft bis in die Nacht. Zusammen mit dem Arzt Joost Rot behandelten zwei Mitglieder der Gruppe, eine Krankenschwester und ein angehender Arzt, Patienten, die sonst nirgends medizinische Hilfe in Anspruch nehmen konnten. Dies geschah in einem VW-Bus, in Zelten oder unter freiem Himmel. Es wurden chronische Wunden versorgt, Lymphödeme bandagiert und Verletzungen als Folge von Bombenabwürfen in Syrien behandelt. Auch einige junge Mütter mit teilweise neugeborenen Babies waren froh, um Rat fragen zu können, da es für sie weder die Möglichkeit einer gynäkologischen Nachsorge noch der Betreuung durch eine Hebamme gab. So entstanden teilweise lebensgefährliche Schieflagen und Missverständnisse. Eine verzweifelte, junge Mutter mit Stillschwierigkeiten wandte sich an uns, da ihr vier Wochen alter, unterversorgter Säugling mit massiven Verdauungsproblemen zu kämpfen hatte. Es stellte sich heraus, dass er nach der Anweisung eines Militärarztes seit seinem zwölften Lebenstag zusätzlich Wasser zum Trinken bekam. Sehr dankbar war diese Familie über die Zuwendung und Beratung, die wir ihnen boten. Nach einigen Tagen intensiver Begleitung waren die Verdauungsprobleme verschwunden und die Stillschwierigkeiten ebenfalls. Wir wissen alle, wie wichtig eine gute Betreuung und medizinische Versorgung von Müttern und Kindern ist, gerade in der ersten Zeit nach der Geburt. Leider ist das momentan nur ein frommer Wunsch für die meisten geflüchteten Familien in Nordgriechenland. Die Kinder kommen unter widrigsten Bedingungen zur Welt, nach einem Kaiserschnitt und dem zumeist sehr kurzen Krankenhausaufenthalt werden die Frauen entlassen und können keine medizinische Betreuung mehr erwarten.
In den Militärcamps fehlt es an allen Ecken und Enden, von Ernährung über Hygiene, sogar an der medizinischen Grundversorgung. Bloße Notfallversorgung ist angesagt.
Es handelt sich bei den offiziellen Camps zumeist um große Verwahranstalten fern der Öffentlichkeit in alten Fabrikhallen, im Industriegebiet rund um Thessaloniki, auf freiem Feld oder auf ehemaligen Flugzeugrollbahnen. Unfassbar, wie stark, würdevoll und freundlich die meisten Flüchtenden sich zeigten, wenn man bedenkt, dass sie keinerlei Aussicht auf eine Veränderung ihrer Situation erwarten können.
Natürlich können vor allem die Frauen und Mütter ihre Trauer und Ratlosigkeit nur schwer verbergen. Besonders betroffen waren wir darüber, wie Schwangere, Mütter und Babys unter der Situation leiden. Darum haben wir uns entschieden, das Nurture Project International zu unterstützen. In den dadurch bereitgestellten geschützten Zelten findet unter anderem Beratung zum Stillen und zur Ernährung statt, was sonst durch die älteren Frauen in den Familien vermittelt würde. Da die Familien durch Krieg und Flucht aber meistens zerrissen wurden, entstehen hier gefährliche Lücken, die dank des Projektes zumindest teilweise von Hebammen und Psycholog*innen gefüllt werden können.
Das Resümee der Reise ist eindeutig:
Nach der Räumung von Idomeni und der anderen freien Camps findet die Situation der Flüchtenden in der Öffentlichkeit kaum noch Beachtung. Sie leben nun in Massenlagern, die vom Militär geführte werden. Ihre Lebensbedingungen sind mehr als unzulänglich und menschenunwürdig. Die Hilfe durch Freiwillige muss hier erst neu organisiert werden und ist wichtiger als zuvor.
Wir von Potsdam-Konvoi werden weitere Projekte in Nordgriechenland initiieren und uns mit den Menschen auf der Flucht aktiv solidarisch zeigen. Wir werden immer wieder in der Öffentlichkeit von unseren Begegnungen erzählen, um auf die unhaltbare und unakzeptable Situation der flüchtenden Menschen aufmerksam zu machen. Die Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat Brandenburg wird fortgesetzt. So soll im Rahmen des von Europa geplanten Relocation-Programms nach dem Osnabrücker Vorbild „50 aus Idomeni“ eine ähnliche Initiative im Land Brandenburg unterstützt werden, um Transitflüchtlinge aus Griechenland nach Deutschland zu holen.