Direkt beim Ankommen merkt man schon: Das Lager ist viel größer als das in KALOCHORI, in dem wir uns inzwischen schon einen guten Überblick verschafft haben. Hier stehen die meisten Zelte draußen. Solche, die überdacht sind, stehen in einer Lagerhalle, die eher an eine Ruine erinnert als an ein standfestes Haus für knapp 100 Zelte. Die einst grünen Stoffbahnen der Zelte sind ausgeblichen von der Sonne, die auch heute Mittag gnadenlos auf unsere Köpfe brennt. Das Lager ist umzäunt von Stacheldraht und der Boden ist staubig, so wie alles hier zu sein scheint. Immerhin besser als Regenwetter, denn für die äußeren Zelte gibt es überhaupt keinen Regenschutz. Man kann sich vorstellen, wie unangenehm der Winter hier werden wird. Am Eingang: Ein Klapptisch mit Männern in tarnfarbenen Uniformen. Die Vertreter des Militärs verstehen kaum Englisch und geben uns nur brüchig zu verstehen, dass wir draußen warten müssen. Zum Glück sind wir einige Minuten später mit Alix verabredet, einem Syrer, der selbst einen ganzen Monat in SOFTEX gelebt hat und nun dort als Dolmetscher Freiwilligenarbeit leistet. Er führt uns durch das Camp, erläutert hier und dort einige Einrichtungen, kann uns unsere Fragen beantworten und kennt manche Familien, die noch im Lager wohnen.
Für die rund 400 Kinder gibt es auch hier eine Schule. Erstaunt können wir feststellen, dass sie besser ausgebaut ist als in KALOCHORI. Unterricht gibt es zwar hier nur für Kinder unter 14 Jahren, dafür aber täglich auch Arabisch und Mathematikstunden.
Als wir in die Halle hinein gehen, hat sich schon längst eine Schar an Kindern zu uns gesellt.
Gefühlt jedes der Kinder lädt uns zu sich ins Zelt ein. Wir werden an der Hand mitgezogen, dürfen in ihre Zelte kommen und sitzen dann mit völlig fremden Menschen auf dem Fußboden. Die drei Mädchen holen ihre Skizzenbücher hervor und zeigen uns bunte Bilder von Zelten mit einer Sonne und glücklichen Menschen davor. Das nächste Bild: ein Tisch mit vielen Tellern und Köstlichkeiten darauf. „Essen“ sage ich, sie grinst und nickt. Die Mutter der 4 Kinder führt ihre Finger zum Mund und verzieht dabei das Gesicht.
Das Essen vom Militär ist schlecht, erklären die Kinder, aber Geld, um selber zu kochen hat die Familie auch keines. Seit 6 Monaten sind sie nun schon in SOFTEX, davor lebten sie bereits sieben in IDOMENI. So geht es vielen. Die Wartezeiten auf Gesprächstermine des Relocation Programms sind ewig lang und bis die „Umsiedlung“ erst einmal stattfindet, dauert es weitere Wochen bis Monate.
Als wir durch die engen Zeltreihen zurück zu unserer Gruppe laufen sehen wir, wie Menschen in der Halle einen kleinen Basar aufgebaut haben. Es gibt Zigaretten, Süßes, sogar Frappé und Falafel für die Leute, die es sich leisten können, nicht das Essen des MIlitärs zu essen. Trotz der Mittagssonne draußen ist es recht kühl und vor allem sehr dunkel in dem Gebäude. Der Boden ist aus kaltem Beton und nur Neonröhren sorgen für Licht. Neben den Zeltreihen stehen noch einzelne Campingzelte, auch sie sind bewohnt. Ein Mann öffnet seine „Tür“ um mir einen Einblick in sein „Zuhause“ zu gewähren. Ein Bett steht darin, für mehr ist kein Platz. Ich stelle mir vor, mehrere Monate lang hier zu leben und mir wird ein klein wenig schwindelig von dem Gedanken. Draußen sind nur immer mehr Zelte. Wir werden eingladen in ein Zelt einer weiteren Familie. Dort bekommen wir sogar Essen und Shisha angeboten, sitzen und quatschen auf deutsch, englisch, arabisch und mit Händen und Füßen. Es kommen Nachbarn vorbei, denn generell sei das Verhältnis respektvoll. Nur das Zelt nebenan, das sei ein „böses“ Zelt, sagt die 16 jährige Tochter und macht eine abwehrende Handbewegung dazu. SOFTEX ist vor allem in der Nacht gefährlicher als andere Lager. Aus Angst bleiben die Bewohner*innen dann lieber in ihren Zelten, denn schon häufiger hat es Übergriffe auf Frauen und Kinder gegeben.
„Hier trägt fast jeder ein Messer bei sich“ erzählt Alix. Erst neulich gab es wegen Messerstechereien einen Eingriff der Polizei und auch Verhaftungen.
Dass hier nachts die Mülltonnen brennen ist, wie wir schon feststellten, auch keine Besonderheit. Ein Schrei der Verzweiflung.