Wahid, athnan, thlath… eins, zwei, drei und los gehts…. Ein paar Brocken Arabisch können wir in Gesprächen zwischen Flüchtenden und Helfenden aufschnappen, einige Vokabeln lernen wir aus Wörterbüchern, doch überwiegend geschieht Kommunikation hier durch Gesten, Tonfall und Lächeln. Die meisten Erwachsenen können nur wenig oder sehr brüchiges Englisch. Manche sprechen Kurdisch, die meisten Arabisch. Am Besten verständigen können sich hier allerdings die Kinder. „My Friend, give me this!!“dazu ein fordernder, frecher Blick und eine ausgestreckte kleine Hand. Obwohl viele der Kinder seit über fünf Jahren keine Schule mehr besucht haben,
lernen sie die fremde Sprache am schnellsten. Manche springen in schwierigen Situationen (wie das Verteilen von Hygienebinden oder Problemdiskussionen) als Dolmetscher*innen ein, andere erzählen von ihren Geschwistern und Familien und lauschen interessiert, wenn wir ihnen englische und sogar deutsche Bücher vorlesen. Lesen und schreiben können manche aber nicht einmal auf Arabisch. Der Krieg oder die politischen Umstände in ihrer Heimat und die anschließende Flucht ließen keine Zeit für Dinge wie Mathematik, Geschichte oder Sprachenunterricht.
Bei unserem ersten Rundgang durch das Lager in KALOCHORI vor einer Woche zeigte uns Diane einen aus Spanplatten, Plastikplanen und Wellblechdach gebauten Raum, der bereits als Schulraum genutzt wird. Hier hängen Zahlen und selbstgemalte Bilder an der Decke und die Holzwände sind mit Gesichtern und Wolken in bunten Farben bemalt.
An diesem Tag findet der Unterricht aufgrund von Regen jedoch in einem großen, offenen Zelt daneben statt. Kein Wunder, denn die Schule sieht aus wie ein einziges Chaos. Das Regenwasser, was durch das Dach und die Seiten hineinkommt, sammelt sich in großen Pfützen auf dem Steinboden, Stühle und Tische sind gestapelt oder kreuz und quer im Raum verteilt und Spielzeug und Materialien liegen überall herum. Als wir uns zwei Tage später das Aufräumen des „Klassenzimmers“ zu unserer Aufgabe machen, müssen wir die Tür abschließen, damit die Kinder nicht noch während des Putzens alles wieder verwüsten. Sie klopfen an die Tür, versuchen über die niedrigen Wände zu klettern, rufen uns zu und wollen sich sogar durch den Türspalt drängeln, wenn wir rein- oder rausgehen. Sie tun alles für Aufmerksamkeit und alles gegen die Langeweile. Beschäftigung bzw. Unterricht ist daher ein zentrales Problem.
Zurzeit gibt es nur einen Freiwilligen, der regelmäßig für die Kinder Englischunterricht gibt. Zwar gab es eigentlich noch einen Mathekurs von einem ausgebildeten Lehrer, der selbst im Camp lebt, Griechischunterricht und sogar ein Deutschkurs sind geplant, doch die Umsetzung ist leider schwerer als es anfangs schien. Es gibt einfach nicht genug Helfende. Obwohl die Kinder vielleicht gerade das so sehr bräuchten, kann nur schleppend eine Regelmäßigkeit hergestellt werden. Wenn der aktuelle Hauptverantwortliche Anfang nächster Woche wieder nach Hause fährt, bleibt die Frage nach Unterricht erst einmal ungeklärt. Entgegen unserer anfänglichen Erwartungen ist auch diese Aufgabe nicht im geringsten ein Zuckerschlecken. Morgens kurz vor 10 Uhr sitzen die ersten Kinder bereits vor dem Klassenzimmer und machen Faxen. Als Anne sie zeichnet, kommen sie neugierig an, posieren und wollen gleich alle Bilder sehen. Der Unterricht beginnt sogar recht pünktlich. Mit dabei ist eine weitere Helfende, die als Unterstützung versucht, die Kinder ruhig zu halten, während Christoph vorne an der Tafel den Unterricht leitet.
Zu Beginn singen wir gemeinsam ein englisches Kinderlied – und tatsächlich machen alle enthusiastisch mit. Die Schule macht den meisten Kindern Spaß und sie kommen freiwillig zum Lernen. Doch wie in jeder alltäglichen Schulklasse, gibt es Menschen, die fleißig und interressiert mitarbeiten, Menschen, die ihre Probleme bei der Bewältigung einer Aufgabe haben und vor allem solche, die als Rowdys und Chaostruppe Unruhe in die ganze Atmosphäre bringen. Auch fünf Aufsichtspersonen konnten die 5-9 jährigen nicht zur Ruhe bringen. Es wurde geschriehen und gelacht, Blätter zerrissen, Stifte geklaut, Gemälde kommentiert und veralbert. Selbst bei einer 1:3 Betreuung waren diese Energiebündel nicht zu bändigen. Spaß gemacht hat es uns trotzdem, und trotz unserer Erschöpfung hinterher bekamen wir auch andere Erfahrungen erzählt – von ruhigen Klassen und der durchgesetzten Autorität eines einzelnen Lehrers.
Nach dem ersten Unterrichtsblock folgt ein zweiter, für ältere Kinder von ca. 11 bis 13 Jahren. Hier läuft alles ruhiger ab. Die Kinder sollen beispielsweise Briefe schreiben und freuen sich über die Möglichkeit, etwas zu lernen. Die Fortgeschrittenen übersetzen für die, die noch nicht so gut Englisch sprechen können und alle machen engagiert mit. Es ist auffallend, wie erwachsen diese Kinder schon sind.
Am Abend gibt es auch für die Erwachsenen die Möglichkeit, Englisch zu lernen. Unterteilt in einen Anfänger- und einen Fortgeschrittenenkurs unterrichtet eine Freiwillige aus den USA english basics. Ein arabisch sprechender Mann steht daneben, läuft angeregt durch das „Schulzimmer“ und übersetzt die Aufgabenstellungen oder einige Fragen ins Arabische bzw. Englische. Es ist ein schönes Bild, wie Männer* und Frauen* auf Kinderstühlen an den vollgekritzelten mini-Tischen sitzen und voller Begeisterung brüchig die Sätze der Lehrenden wiederholen. Manche machen sich Notitzen in einem kleinen Heft. Heute werden noch einmal die Farben noch einmal wiederholt und die Schüler*innen sollen ganze Sätze damit bilden: „I like white“ steht dann an der Tafel, „It is the color of peace“.