Übergabe der Relocation-Petition

Am 1. März übergaben wir gemeinsam mit der Osnabrücker Initiative „50 aus Idomeni“, Vertreter*innen von Pro Asyl, Borderline Europe und Campact sowie Aktiven aus verschiedenen Berliner Gruppen die Relocation-Petition Herrn Thiermann vom Bundesinnenministerium. Fast 47.000 Unterschriften liegen nun hoffentlich sichtbar gestapelt auf dem Schreibtisch von Thomas de Maizière. Der Übergabe war ein Pressegespräch vorausgegangen.

Insgesamt eine gelungene Aktion, auch wenn der Vertreter des Ministeriums seine Einladung zu einer anschließenden Diskussion erst während der Übergabe absagte.

Der Redebeitrag von Lea:

Ich spreche im Namen der Initiative Potsdam-Konvoi. Wir sind Ehrenamtliche Potsdamerinnen und Potsdamer, die sich für Solidarität mit Flüchtenden in europäischen Krisengebieten einsetzen. Seit Beginn unserer Arbeit sind wir Zeuginnen und Zeugen einer humanitären Katastrophe, die sich rasant in einem Ausmaß verschlimmert, so dass es uns schwer fällt sie zu beschreiben. Und damit ist nicht nur die Situation vor Ort gemeint, denn im direkten Zusammenhang dazu stehen die Reaktionen und Institutionen der Europäischen Länder. Wir schämen uns für diese Ignoranz und die Abschottungspolitik der EU.

Allein in Nordgriechenland leben immer noch rund 60.000 Menschen, die sich auf der Flucht befinden. Davon sind die Hälfte, also ca. 30.000 Menschen, Neugeborene und Kinder (unter 15 Jahren). Die meisten der sogenannten Militärzeltcamps rund um Thessaloniki, in denen wir in der warmen Jahreszeit arbeiteten, sind nach dem furchtbaren Kälteeinbruch langsam evakuiert worden. So sind viele Familien jetzt zwar in festen Gebäuden untergebracht, doch nach knapp 12 Monaten Leben im Zeltlager sollte das eine Selbstverständlichkeit sein und mindert nur kaum den Frust, dass sie alle immer noch nicht wissen, wann und wie es endlich weiter geht.

Und die anderen? Vor allem auf den griechischen Inseln leben die Menschen immer noch bei Kälte in unbeheizten Zelten. Tausende weitere sind obdachlos und ohne jegliche Versorgung, lediglich von Freiwilligen und NGOs unterstützt. Darunter viele Familien mit kleinen Kindern und Alleinreisende, hauptsächlich aus Afghanistan, Pakistan und dem Irak, verstecken sich aus Angst vor der Abschiebung.

Allgemein anerkannte Menschenrechte scheinen außer Kraft gesetzt zu sein, denn die Bedingungen sind die einer Notsituation. Doch eine Notsituation ist das nach 12 Monaten oder länger längst nicht mehr!

Wir haben beobachtet, wie kleine Kinder Barfuß durch Pfützen sprangen und neben Dixitoiletten auf Asphalt spielten, während wir schon unsere warme Kleidung trugen.

Wir waren dabei, wie Zelte unter Wasser standen, in denen gerade zwei Neugeborene in diese Welt gekommen sind.

Wir wurden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nach Schulbildung gefragt und wurden immer aufs neue mit Enttäuschung und Traurigkeit angesehen, als wir verneinen mussten.

Wir haben gesehen, wie Menschen auf Lesbos in zugeschneiten Zelten schlafen müssen.

Wir haben Brennende Mülltonnen als Alltäglichkeit, und Wände gesehen, die aus Frust eingeschlagen wurden.

Uns wurden Bilder gezeigt, von toten Kindern vor einem griechischen Lager. Die Empörung danach, haben wir von allen Seiten gespürt.

Wir hörten von Kältetoden, während wir uns die Hände an einem Heizstrahler wärmen konnten.

Wir haben Müttern zugehört, die seit 4 Jahren ihre Kinder nur auf dem Foto sehen können.

Viele Menschen erzählten uns, dass sie lieber im Krieg gestorben wären, als diese Situation auszuhalten.

Wir fragen uns: Was spricht dagegen, Strukturen und Plätze in unserem Land zu nutzen und in Not geratenen Menschen eine Chance auf ein Leben in Sicherheit und Würde zu geben?

Was spricht dagegen ihre Kultur und Arbeitskraft als eine enorme Bereicherung und Chance für die Entwicklung in unserem Land zu verstehen?

Die Stadtverordneten der Stadt Potsdam fassten auf Antrag unser Initiative Potsdam-Konvoi einen Beschluss, in dem sie die Bundesregierung auffordern, das Relocation-Programm endlich umzusetzen. Neun weitere deutsche Städte, mit denen wir zusammenarbeiten, engagieren sich ebenfalls in dieser Hinsicht. Doch das reicht uns nicht!

Erneut möchten wir hier ein deutliches Signal direkt an die Bundesregierung senden. Wir sind mit unserer Geduld am Ende, denn wir sehen immer wieder die Folgen einer ignoranten, menschenrechtsverletzenden Abschottungspolitik, indem wir wundervolle Menschen kennenlernen, die trotz aller Stärke verzweifelt sind und deren Hoffnung, ihre schreckliche Situation könne sich bald verbessern, immer weniger wird.

Wir können rechnen! Fast 47.000 Menschen können es. Bei dem schleppenden Tempo der Aufnahmen müsste der letzte Mensch bis Februar 2019 warten. Versprochen war bis September 2017!

Was ist mit unserer Demokratie? Wir wählten unsere Vertreter, sie fassen Beschlüsse und missbrauchen unser Vertrauen, indem sie diese nicht umsetzen.

Unsere Mahnung richtet sich an die Bundesregierung: Hören Sie endlich auf weiter die Trägheit der anderen europäischen Länder bei der Umsetzung des Relocation-Programms vor zu schieben. Bleiben Sie bei ihrem Beschluss und zeigen Sie, dass Demokratie und Menschenrechte bei uns zählen! Lassen Sie als Regierende des reichsten Landes Europas, Griechenland und Italien mit der Versorgung Zehntausender Menschen nicht weiterhin allein!

Wir können nicht länger zusehen, wie die Regierung die Augen zu macht, sich in der Mitte Europas hinter den geschlossenen Grenzen der anderen Versteckt und Menschen nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als Zahlen und lästige Eindringlinge sieht.

Wir können nicht zulassen, wie Solidarität mehr und mehr zu rassistischer Angst gewandelt wird.

Es muss etwas passieren. Es muss jetzt etwas passieren.

Wir warten auf eine Antwort auf unsere Frage: Wie konkret wird das Relocation-Programm bis zum September 2017 umgesetzt?