Es ist Nacht, im Bus ist es kalt und schon vor einer guten Weile mussten alle Reisenden ihre Ausweise abgeben. Der Busfahrer winkt uns nach draußen und wir müssen als Deutsche zu einem anderen Schalter als die anderen. Insgesamt dreimal wurden unsere Ausweise gescheckt, der Bus ausgeräumt, durchgeschaut und wieder eingeräumt.
Für uns einfach eine nervige Prozedur, doch für Menschen auf der Flucht ein kaum überwindbares Hindernis auf dem Weg in den Norden von Europa.
In den letzten Wochen, beschäftigten wir uns viel mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Menschen, die sich auf der Flucht befinden. Nicht nur mit denen, die in den Lagern wohnen und großteils aus Syrien kommen und damit immerhin ein Recht auf Asyl haben, sondern auch mit den Familien, die auf den Straßen von Thessaloniki leben. Die meisten kommen aus Afghanistan, Pakistan oder dem Irak und haben, seit diese Länder zu „sichereren Herkunftstaaten“ erklärt und Europas Grenzen geschlossen wurden, eigentlich keine bzw. nur noch eine minimale Chance nach Deutschland zu kommen.
In einem leerstehenden Gebäude hinter dem Hauptbahnhof von Thessaloniki, hat sich schon seit längerem eine Art „Sammelstelle“ der obdachlosen Flüchtenden gebildet. Hier haben sie bei Regen wenigstens ein Dach über dem Kopf und sind zentral für die Schmuggler zu errreichen. Wir kommen mit einem Karton voll bunter Straßenkreide. Schüchtern kommen erst ein paar kleinere Kinder auf uns zu. Zusammen malen wir Blumen und Herzen an die Wände und sogar ein paar erwachsene Männer machen mit. Diese Menschen leben unter offensichtlich trostlosen Umständen. Regelmäßig, werden sie von der Polizei geweckt und verscheucht und Zelte können sie aus genau diesem Grund kaum aufbauen. Dreimal am Tag kommen Volunteere, um den Menschen Essen zu bringen und nach anderen Bedürfnissen, wie Kleidung, Decken oder Schuhen zu fragen.
Auch Chamse lebt seit ca. 4 Wochen auf der Straße. Die Ruine ist nicht der einzige Ort für obdachlose Refugees. Viele leben auch in den Parks in der Umgebung. Sie winkt uns zu sich, stellt in unsicherem Englisch sich und ihre beiden Söhne Benyamin und Martin vor. Seit neun Monaten ist die Afghanin schon mit ihrer Familie auf der Flucht. Ihre Heimatstadt Kabul wird seit mehren Jahren von den Taliban terrorisiert. Ihr Haus ist ist zerstört und ihr Vater und Bruder sind beide tot. Sie erzählt von ihrem Weg nach Griechenland. Eigentlich war sie schon kurz davor die mazedonische Grenze zu ueberqueren, doch sie kam drei Tage zu spaet, denn seitdem sind die Grenzen geschlossen. Wir fragen wie es nun weitergehen soll. Sie nimmt meine Hand und Tränen stehen in ihren Augen, als sie die Länder aufzählt, die sie noch durchqueren müssen um nach Deutschland zu kommen, wo schon ihr Onkel lebt. „I am tired. Everybody here is tired“. Woher soll diese Frau die Energie nehmen weiterzumachen? „God is big“ sagt sie immer wieder, aber ich glaube sie weiß genau so gut wie wir, wie winzig die Chance ist, irgendwo anzukommen. Denn der Weg ist nicht nur lang und anstrengend, sondern auch teuer und gefaehrlich. Und selbst wenn sie ihr Ziel erreichen ist die Moeglichkeit des Bleiberechtes unsicher und sehr gering. Das letzte Geld bekommt der/die Schmuggler*in, welche*r sie bis zur Mazedonischen Grenze bringen wird. Ueberqueren muessen sie die Fluechtenden zu Fuss, meist mehrere Tage durch den Wald, um dann auf der anderen Seite wieder aufgenommen werden zu koennen. Dieser Weg wird als „Jungling“ bezeichnet und ist sehr riskant. Chamse wartet, wie alle anderen nur noch auf einen Telefonanruf des/der Schmuggler*in, um endlich weiter zu kommen.
Als wir nach den Grenzkontrollen wieder im Bus sitzen und problemlos durch Albanien gefahren weden, ist die Stimmung gedrueckt. Wir haengen in Gedanken fest, die sich im Kreis drehen: Warum ist ein*e gefluechtete*r Afghan*in nicht dazu berechtigt dem Terror in seinem/ihrem Land zu entfliehen? Muss es erst „Krieg“ sein und warum ermaechtigen sich manche Menschen darueber zu entscheiden? Es macht uns fast wuetend dass wir ohne weiteres Leben koennen wo wir wollen, reisen koennen wohin wir moechten und das nur, wegen einer Karte aus Plastik. Die Abschiebung eines jeden einzelnen zurueck in ein unsicheres Land ist ignorant und humanitaer unvertretbar. Jeder Mensch sollte das Recht haben sich in der Welt frei bewegen zu koennen. Aus welchen Gruenden auch immer!
UPDATE
Am Bahnhof von Belgrad begegneten wir weiteren hunderten von Afghan*innen, Pakistani, Iraker*innen. Sofort bildete sich eine Traube von Menschen um uns. Die Frage die sie uns allen stellten war: „Wann öffnen sie die ungarische Grenze und warum ist sie überhaupt geschlossen?“ Sie fragten uns hoffnungsvoll nach Informationen, warmen Klamotten und Decken die wir Ihnen nicht geben konnten. Und wir steigen jetzt in den Zug um problemlos nach Ungarn zu fahren.