Schuhe, Stapel und Kartons

Es sind die letzten Tage im September und morgens ist es inzwischen manchmal so kalt, dass wir zum Frühstück mehrere Schichten Kleidung übereinander tragen müssen, um nicht zu frieren. Die meisten Menschen in den Lagern laufen immer noch in Sandalen und kurzen Hosen herum. Im Gegensatz zu uns leben sie praktisch im Freien und haben keine Türen und Fenster, die sie schließen können um Privatsphäre aber auch um einen warmen Raum zu schaffen. Der Wind und der Regen kommen durch die kaputten Tore und das beschädigte Dach auch in die Halle. Ohnehin sind deshalb und wegen der fehlenden medizinischen Versorgung schon viele krank. Diese Menschen brauchen wärmende Kleidung, sonst wird es in den kommenden Monaten kaum aushaltbar sein.

Kleiderspenden sind in einem Warehouse östlich der Stadt Thessaloniki gelagert. Pappkartons und Müllsäcke gefüllt mit gespendeten Schuhen, Babykleidung, Schals, Kleidern, Hemden und Hosen stapeln sich wirr in verschiedenen Ecken der riesigen Halle. Das Sortieren der einzelnen Kisten dauert länger als gedacht. Bis jetzt haben wir zwei Tage gemeinsam Kleidung sortiert, gefaltet, gestapelt, Stapel gezählt und wieder in Kisten gepackt. Die Ecke mit Kleidern und Blusen für Frauen* wächst schnell. Auch an Baby- und Kinderkleidung gibt es verhältnismäßig viel zusammen zu falten, doch leider nur erschreckend wenig warme Pullover und Winterschuhe. Jeder Kinderpullover wird von uns freudig kommentiert. Wirklich Winterfest sind aber die wenigsten. Bis jetzt zählen wir 5 dickere Pullover für Kinder, darunter aber keine Anzüge für Babies. In den letzten 2 Wochen, gab es allein in Kalochori 12 Neugeborene. An Männer*kleidung mangelt es extrem, Kleiderspenden werden hier dringend benötigt.

Und nicht nur die Bewohner*innen des Kalochori Lagers brauchen wärmere Kleidung. Den Camps in der Umgebung ergeht es ähnlich: Es gibt kaum Jacken und auch oft nicht genug Freiwillige, die das Angebot sortieren, damit alles möglichst bald verteilt werden kann. Ein Teil der Gruppe ist deshalb vorgestern nach SINATEX gefahren, um dort in einem sehr viel kleineren Lager zu helfen. SINATEX hat ca. 250 Bewohner*innen die alle kurdischer Herkunft sind. Hier leben nur Familien, keine Einzelpersonen. Auf den ersten Blick wirkt die Stimmung friedlich, fast idyllisch, neben Bergen, Schafen und Feldern, auf denen Menschen picknicken. Am Eingang hängt ein großes, buntes „Open the Borders“-Banner. Trotzdem ist das Camp von Stacheldraht umzäunt, die Zelte stehen so dicht, dass im Falle eines Brandes innerhalb von 15 Minuten das gesamte Lager zerstört sein würde. Es fällt schwer, den Menschen, die uns während des Sortierens nach Kleidung anflehen, nicht das zu geben, was sie dringend brauchen.
Auf dem Rückweg nach Kalochori schockierte uns am Straßenrand jedoch der Blick auf SOFTEX. Es war schon dunkel, doch das Lager war von Flutlicht erleuchtet. Viele Zelte stehen auf einem Feld neben der Lagerhalle, brennende Mülltonnen davor. In SOFTEX sind ca. 1.300 Mensch untergebracht, also knapp 3 mal so viele wie in Kalochori. Ein Leben zusammen mit Tausenden auf engstem Raum, hingehalten auf unbestimmte Zeit und wagen Versprechen schürt vorallem die Frustration. Häufig zeigt sich solche, besonders in SOFTEX oder OREOKASTRO in Gangfights und Kriminalität.  Auf diesen Anblick waren wir nicht vorbereitet und unser Verständnis für die Menschen in solchen Lagern wächst jeden Tag. Trotzdem wollen wir hier die Gewalt in manchen Camps nicht gut reden oder verharmlosen.